Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
trotzdem.
Ein paar Pints später, nachdem er außerdem das letzte belegte Brötchen aus der Auslage vertilgt hatte, beschloss er, dass er nun auch nach Hause gehen konnte. Er hatte die Evening News gelesen, die Highlights der Tour de France im Fernsehen gesehen und weiteren Einwänden gegen die neue Straßenführung gelauscht.
»Wenn sie sie nicht zurückverlegen, sagt meine Frau, könnten sie den Laden, wo sie arbeitet, gleich dichtmachen. Hab ich’s euch schon erzählt? Sie ist jetzt in diesem neuen Schuhgeschäft in der Frederick Street …«
Harry verdrehte die Augen, während Rebus auf die Tür zusteuerte. Er überlegte, ob er zu Fuß nach Hause gehen oder in Gayfield anrufen sollte, um zu sehen, ob jemand im Streifenwagen draußen war und ihn vielleicht mitnehmen konnte. Viele Taxis machten einen Bogen ums Zentrum, aber er wusste, dass er außerhalb des Roxburghe Hotels eine Chance hatte, wenn er nur versuchte, wie ein wohlhabender Tourist auszusehen …
Er hörte, wie die Türen aufgingen, drehte sich aber nicht schnell genug um. Hände griffen nach seinen Armen und zogen sie hinter seinen Rücken.
»Bisschen zu viel getrunken?«, fuhr eine Stimme ihn an. »Eine Nacht in der Zelle wird dir guttun, Kumpel.«
»Lasst mich los!« Rebus wand sich, aber vergeblich. Er spürte, wie die Plastikkabelbinder sich um seine Handgelenke legten und so fest angezogen wurden, dass sie ihm die Blutzirkulation abschnitten. Waren sie erst einmal festgezurrt, gab es keine Möglichkeit mehr, sie zu lösen; man musste sie durchschneiden.
»Was, zum Teufel, geht hier vor?«, zischte Rebus. »Ich bin vom CID, verdammt noch mal.«
»Siehst aber nicht nach CID aus«, gab die Stimme zurück. »Bier- und Zigarettenfahne, Klamotten aus dem Altkleidersack …« Es war ein englischer Akzent; vielleicht London. Rebus sah eine Uniform, dann noch zwei. Gesichter, die dunkel waren – vielleicht braungebrannt -, aber wohlgeformt und streng. Der Transporter war klein und neutral. Die Hecktüren standen offen, und sie schoben ihn hinein.
»Ich habe meine Dienstmarke in der Tasche«, erklärte er. Es gab eine Bank, auf der er sitzen konnte. Die Fenster waren geschwärzt und außen mit einem Metallgitter versehen. Ein schwacher Geruch von Erbrochenem lag in der Luft. Ein weiteres Gitter trennte den rückwärtigen Teil des Transporters vom Führerhaus, und eine Spanplatte verhinderte jeden Zugang nach vorn.
»Das ist ein großer Fehler!«, brüllte Rebus.
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen!«, rief eine Stimme zurück.
Das Auto fuhr los. Rebus sah Scheinwerfer durch das Heckfenster. Logisch: Sie passten ja nicht alle drei in die Fahrerkabine; es musste also noch ein Fahrzeug geben. Es war egal, wohin sie ihn brachten – Gayfield Square, West End oder St. Leonard’s -, er war überall bekannt. Kein Grund zur Sorge, abgesehen von der Schwellung seiner Finger, in denen das Blut nicht mehr zirkulierte. Auch die Schultern taten ihm weh, weil sie durch die festgezurrten Kabelbinder nach hinten gezogen wurden. Er musste die Beine spreizen, damit er nicht wild im Laderaum umherwirbelte. Sie fuhren vielleicht achtzig und hielten an keiner Ampel. Bei einem Beinahezusammenstoß hörte er zwei Fußgänger kreischen. Keine Sirene, aber das Blaulicht blinkte. Das Auto hinter ihnen schien weder Sirene noch Blaulicht zu haben. Also kein Streifenwagen … und dieses hier war auch kein reguläres Polizeifahrzeug. Rebus dachte, sie würden nach Osten fahren, also nach Gayfield, aber dann bogen sie scharf links Richtung New Town ab und brausten den Hügel abwärts, sodass Rebus’ Kopf während der Fahrt an die Decke knallte.
»Wohin, zum Teufel …?« Wenn er vorher betrunken gewesen war, jetzt war er nüchtern. Das einzige Ziel, das er sich vorstellen konnte, war Fettes, aber das war das Polizeipräsidium. Dorthin brachte man keine Betrunkenen, damit sie ihren Rausch ausschliefen. Da hielten sich die hohen Tiere auf, James Corbyn und seine Spießgesellen. Und tatsächlich bogen sie links in die Ferry Road ab, folgten aber nicht der Kurve nach Fettes …
Damit blieb nur noch das Revier Drylaw, ein einsamer Vorposten im Norden der Stadt – Dreizehnter Distrikt, wie manche es nannten. Ein düsterer Schuppen, und vor dessen Tür hielten sie an. Rebus wurde aus dem Auto gezerrt und hineingebracht, wo seine Augen sich erst an das grelle Licht der Neonröhre gewöhnen mussten. Niemand saß am Schreibtisch, der Raum schien verlassen. Sie führten
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