Im Namen Des Schweins
der Gedanke, die Fifth Avenue zu vergessen und lieber SoHo zu erkunden: SoHo hat den Ruf, exklusiv zu sein, in einem alternativen, modernen, mutigen Sinn. Eine halbe Stunde später steigt er aus der U-Bahn auf der Höhe des unteren Broadways. Er verliert die Orientierung und läuft Richtung Little Italy. Das macht aber nichts. Da er sich unter dem Schutz der Göttin Venus befindet, kommt er genau in der Gegend heraus, wo die angesagten Läden sind.
Oberhalb der Lafayette Street. Es sind diese Zufälle, die es nur in der Wirklichkeit und in den Büchern Paul Austers gibt, die ihn dann auch noch zu dem Geschäft führen, das er gesucht hat, ohne es zu wissen: Jewel Zoo steht auf dem Fähnchen, das davor hängt. Ein kleines Schmuckgeschäft: so cool & smart wie T noch nie eines gesehen hat. Das Schaufenster ist ein langes Aquarium, das in die rohe Betonfassade eingebaut ist. Unendlich schön, mit grobem, weißen Sand auf dem Boden, Schiefersteinen, ein paar schwarzen Fischen, die viel Platz zum Schwimmen haben und von dem ultravioletten Licht subtil hervorgehoben werden. Der Schmuck liegt grüppchenweise auf feinen Stahlständern im Wasser, die ihn vom Sand abheben. Schlichte, solide Stücke mit weichen Rändern, die an Henry Moore und auch an Miró erinnern. Auf den ersten Blick gefällt ihm ein Ring mit einem polygonalen Aquamarin und einem winzigen Diamanten. Mit ein bisschen gutem Willen könnte man ihn für einen blauen Asteroiden halten, der von einer weit entfernten, leuchtenden Sonne angestrahlt wird. Isn’t it romantic?
Wie ein kleiner Junge, der vor einer Tierhandlung steht, um seiner Freundin aus dem Kindergarten einen Bernhardiner-Welpen zu kaufen, geht er hinein. Zwanzig Minuten später kommt er mit eintausendsiebenhundert Dollar weniger auf dem Konto wieder heraus. Aber mit dem blauen Asteroid-Ring, der in einem wunderschönen, glänzenden Holzschächtelchen eingepackt und geschützt wird.
Mission erfüllt.
Nachmittags kurz nach fünf trifft er ungeduldig im Hotel ein, um sich seine Neuerwerbung in aller Ruhe anzusehen. Unter der hellsten Lampe im Bad wickelt er das Schächtelchen aus und holt den Ring hervor. Er ist kleinkalibrig. Im Laden haben sie ihm gesagt, dass sie ihm den Ring tauschen, falls die Größe nicht passen sollte. Er hält ihn unter die Lampe über dem Spiegel und begutachtet den Aquamarin. Er weiß, wie man das macht. Er hält ihn sich vor die Augen und schaut in sein Innerstes: in das Herz aus Kristall. Er versucht, ihn aufzuladen mit allen guten Wünschen, gewissermaßen mit magischer Energie aller Art, von der er spürt, dass er sie in diesem Augenblick mit Blicken übertragen kann (schnurlose Liebe, good vibrations). Ein Schauer läuft ihm den Rücken entlang, als er ihn fest küsst. An diesen einzigartigen Augenblick werden sie sich noch in vielen Jahren vor jedem Exekutionskommando gemeinsam erinnern können. Danach reibt er mit seinem Hemd den Stein ab, um ihm seinen vollen Glanz wiederzugeben. Er verstaut den Ring im Kästchen und zerreißt das Geschenkpapier: Besser überreicht man nur das Schmuckkästchen.
All dies hat ihn ernst und weich gestimmt. Er nimmt sich vor, seinen jubelnden Humor wiederzugewinnen: die Lust, zu scherzen und grundlos zu lachen.
»Na sicher, aber haben Sie denn nie Filme gesehen mit diesen FarWest-Saloris …? «
»Noch was: Warum hat unsere Vermieterin immer ›das arme Mädchen‹ gesagt, wenn sie meine Vormieterin erwähnt hat?«
»Ach: das arme Mädchen … Ich glaube, ich habe Ihnen schon von ihr erzählt. Sie arbeitete vor Madame Bovary im Pub. Ein sehr hübsches Mädchen. Kein bisschen zynisch, ganz anders als die jetzt. Sie wurde auf eine Pappel aufgespießt am Fuße des Horlá gefunden … Ich hoffe, Sie sind nicht allzu abergläubisch …«
Um Punkt ein Uhr einen Tag vor Allerheiligen geht P hinunter in das Café unter den Arkaden, um mit Beethoven auf die neue Wohnung anzustoßen. Die Susi hat für die Nacht der Verstorbenen schon mehrere Körbe mit Kastanien vorbereitet.
***
P muss dringend ein paar Einkäufe machen: Bettzeug, Handtücher und ein paar Küchenutensilien, die in der Wohnung fehlen. Und es ist an der Zeit, sich warme Anziehsachen zu beschaffen, Anfang November ist die Kälte in den Nächten bereits schneidend. Der Franzose hat sich angeboten, ihn mit seinem Lieferwägelchen ins Tal zu begleiten. Die beiden sind an einem kalten, lichtdurchfluteten Samstag verabredet, der die Stille des Winters vorwegnimmt.
Sie
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