Im Namen Des Schweins
verlassen das Dorf in der Mittagsruhe. P legt zum ersten Mal die Strecke ins Tal bei Tageslicht zurück. Sie sehen Pferde und dickfellige Kühe wiederkäuen, liebliche Flecken zwischen smaragdgrünen Wiesen und dem Blau des Himmels, wo der Mond bereits wartet, dass er an der Reihe ist. Die frische Luft riecht nach Essenzen, die P nicht einmal beim Namen nennen könnte. Gleichzeitig wird ihm im Kontrast dazu der Geruch nach Brennholz bewusst, den seine Kleidung in den letzten Wochen angenommen hat.
»Mir gefällt diese Landschaft saugut«, sagt der Franzose, während er am Autoradio herumdreht. Qué horas son mi corazón …
»Ja, die ist schon nicht schlecht. Bloß die Nächte oder der Winter …«
»Eieiei … Die Winter: Da ist die Kälte höllisch. Und der Nebel … Erinnere mich bloß nicht daran. Aber die Welt ist hier friedlicher. Menschlicher …«
»Gibt es etwas Menschlicheres als einen Stau im Zentrum einer Metropole?«
»Oh, nee … In den Städten sind sie alle verrückt geworden: Die Leute kommen doch auf schrecklichste Weise um in Manhattan … Ich würde nicht wollen, dass mein Baby mit all diesen Dingen groß wird: Drogen, Gewalt …«
P denkt einen Augenblick nach, bevor er antwortet.
Seine Stimme klingt warm: »Schau mal, hier sind sechzig Prozent der Leute unter vierzig von Marihuana, Alkohol oder Kokain abhängig oder von allen drei Dingen gleichzeitig. Und trotz all der Drogen stürzen sich immer noch genug Leute vom Horlá in den Abgrund.
Glaubst Du, es gibt viel grausamere Menschen als den Kainsmal, wenn er in Fahrt ist, oder diese Bande von Vollidioten, die von Zeit zu Zeit mit einer Peitsche aus dem Tal hochkommt und das gesamte Dorf terrorisiert, weil es noch nicht einmal einen Polizisten im Dorf gibt? Und zu allem Überfluss wird auch noch hier und da eine Frau gefunden, die sie im Schlachthof verwurstet haben … Manhattan dürfte nicht so viel schlimmer sein, oder?«
Der Franzose gibt seine bukolische Version nicht auf: »Ach, das ist doch was anderes …«
»Ja … Gut, hier klaut Dir niemand den Geldbeutel in der U-Bahn … Aber ich sage Dir, die schrecklichsten Verbrechen passieren wirklich in den Dörfern oder in kleineren Städten.«
Der Franzose scheint ein wenig darüber nachzudenken: »Ja, das ist zum Kotzen … Es gibt einfach keinen sicheren Ort mehr auf dieser Welt.« Pause. Er atmet voller Genuss die Luft ein, die nach Gräsern duftet.
»Aber wenigstens riecht der ganze Scheiß hier besser, stimmt’s?«
»Jetzt meinst Du aber nicht den Duft von dem Scheiß, mit dem sie die Felder düngen, hm?«
Als sie im Industriegebiet der Kreisstadt ankommen, lotst der Franzose sie souverän durch die schachbrettmäßig angelegten Straßen bis zu einem Supermarkt, in dem es Kleidung und Schuhe gibt. Dort kauft P sich Bergstiefel, einen Pullover mit Polarfutter, Cordhosen, dicke Strümpfe, wollene Unterhemden, einen wattierten Anorak und wasserfeste Handschuhe, die ihm der Franzose für die Schneetage ans Herz legt – ohne sich lange aufzuhalten mit der Auswahl. Den Rest der Einkäufe erledigen sie bei Carrefour. So gegen sechs Uhr am Abend haben sie Ps Liste abgearbeitet, die sich beachtlich erweitert hat um Einkäufe, an die er gar nicht gedacht hatte. Jetzt fehlen nur noch ein paar Säcke mit Koks, um den Ofen anzuschmeißen, aber das heben sie sich für den Rückweg auf. Im letzten Taldorf, so der Franzose, gebe es eine gut sortierte Holzhandlung.
Sie beschließen, im Stadtkern noch ein Bier trinken zu gehen, bevor sie zurückfahren. Die Kreisstadt ist ein sauberer und ernster Ort mit Steindächern. Die alte Stadtmauer ist noch zu einem guten Teil erhalten und begrenzt das Geschäftsviertel. Der größte Teil der Läden sind Sportgeschäfte: Skisport, Bergsteigen, Kanusport …
»Seit zwei Monaten habe ich keine Fußgängerzone mehr gesehen«, sagt P, als sie in den Ortskern kommen, »ich glaube, ich habe noch nie so viel Zeit auf dem Land verbracht.«
Sie finden keinen Parkplatz auf der Straße und müssen in die Tiefgarage fahren. Auf einem großen Platz mit Kolonnaden und Souvenirläden und Cafés für die Touristen kommen sie wieder zum Vorschein. Sie suchen sich eins aus, das mit Holz getäfelt ist und von Damen bevölkert wird, die Tee trinken und Gebäck essen. Sie bestellen sich ein Bier vom Fass.
»Sag mal, das ist so eigenartig, warum hast Du eigentlich keine Winterkleidung? Wo wohntest Du denn vorher? In der Karibik?«, fragt der Franzose, nachdem sie
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