Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
blätterte in der Bibel, in der sie außer auf ein paar kleine Heiligenbildchen auf zwei unterstrichene Zeilen stieß. Und so wartete Abraham in Geduld und erlangte die Verheißung aus dem Hebräerbrief, und aus den Sprüchen Reichtum und Ehre ist bei mir, bleibendes Gut und Gerechtigkeit.
Interessant. Sie steckte die Bibel ein und zog die Schublade des Nachttischs auf, wo sie ein paar weitere Broschüren der Gemeinde sowie eine Mini-Spielekonsole fand. Außerdem klebte hinter der Lade eine silberne Medaille. » Aber hallo. Warum klebt ein Priester eine religiöse Medaille hinter einer Schublade fest?«
Peabody hielt in ihrer eigenen Arbeit inne und richtete sich auf. » Was für eine Medaille?«
» Mit einer Frau in einem dieser Gewänder. Ihre Hände sind gefaltet und es sieht so aus, als stünde sie auf einem Kissen oder so, und als drückte sie ein kleines Kind an ihre Brust.«
» Wahrscheinlich ist das die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind. Und ja, ein seltsamer Platz für eine Medaille«, stimmte sie Eve zu.
Vorsichtig löste Eve das Klebeband und drehte die Medaille um. » Lino, möge La Virgen de Guadalupe dich behüten – Mama«, las sie vor. » Darunter steht auch noch ein Datum. 12. Mai 2031.«
» Rosa hat gesagt, sie glaube, seine Eltern wären gestorben, als er noch ein kleiner Junge war– damals muss er ungefähr sechs gewesen sein«, bemerkte Peabody. » Vielleicht ist Lino ja ein spanischer Spitz- oder Kosename?«
» Könnte sein. Aber warum hat er das Ding hinter die Schublade geklebt, statt es zu tragen oder es zumindest in die Schublade zu legen? Dürfen Priester Schmuck tragen?«, fragte sich Eve.
» Wahrscheinlich keine dicken Klunker, aber ich habe schon Priester mit Kreuzen, Medaillen oder Ähnlichem gesehen.« Peabody hockte sich neben Eve, um sich das Schmuckstück aus der Nähe anzusehen. » Zeug wie dieses Ding.«
» Ja, ja. Warum also hat er das Teil versteckt? Man versteckt etwas, damit es niemand sieht, und wenn man es sich hin und wieder heimlich ansehen will, versteckt man es an einem für einen selbst leicht zugänglichen Ort. Die Medaille war ihm offenkundig wichtig. Sie hat ihm was bedeutet, ganz egal, ob es seine eigene, die Medaille eines Freundes oder Verwandten oder ein Fund aus einem Trödelladen war. Sieht wie Silber aus«, murmelte Eve. » Aber sie ist nicht angelaufen. Also hat er sie regelmäßig poliert.«
Sie sah sich die Medaille noch einmal von beiden Seiten an und steckte sie dann ein. » Vielleicht können wir ja ihre Spur zurückverfolgen. Was ist mit dem Handy?«
» Die letzten Gespräche wurden mit einem gewissen Roberto Ortiz– dem ältesten noch lebenden Sohn des verstorbenen Mr Ortiz–, mit dem Jugendzentrum und Pater Freeman geführt.«
» Okay, die werden wir uns alle anhören. Bestellen Sie die Kollegen von der Kriminaltechnik und sagen, dass sie diesen Raum, nachdem die Spurensicherung drin war, versiegeln sollen.«
Wieder gingen ihr die beiden unterstrichenen Textpassagen aus der Bibel durch den Kopf. Auf welchen Reichtum und auf welche Ehre hatte Flores wohl gewartet? Weshalb hatte er Geduld gebraucht? Gab es irgendetwas Besonderes, was ihm verheißen worden war?
2
Es war ein langer Weg von Spanish Harlem bis zu dem in der Lower West Side angesiedelten Hauptrevier. Lang genug, dass Peabody den toten Flores überprüfen und die wichtigsten Ergebnisse der Überprüfung weitergeben konnte, während Eve den Wagen durch Manhattan manövrierte, was dank des wie stets chaotischen Verkehrs alles andere als einfach war.
» Miguel Ernesto Flores«, las Peabody von ihrem Handcomputer ab. » Geboren am 6. Februar 2025 in Taos, New Mexico, Eltern Anna Santiago Flores und Constantine Flores, die beide bei einem Überfall auf ihre Bodega im Sommer 2027 umgekommen sind. Die Mutter war damals im siebten Monat schwanger.«
» Haben sie die Täter erwischt?«
» Oh ja. Zwei Typen, gerade einmal achtzehn, die beide zu lebenslangen Haftstrafen ohne Chance auf vorzeitige Entlassung verurteilt worden sind. Flores landete damals im Kinderheim.«
» Die Inschrift auf der Medaille stammt aus dem Jahr 2031– damals war seine Mutter schon vier Jahre tot. Wer also ist die Mama, von der diese Medaille stammt?«
» Vielleicht eine Pflegemutter?«
» Ja, vielleicht.«
» Er hat eine staatliche Grundschule, dann aber eine private katholische High School und das daran angeschlossene College besucht.«
» Privat?«, hakte Eve nach und stieß, als sie von einem
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