Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
dem das Blut durch seine Kehle rann, war er bereits tot.
Die Kirche St. Cristóbal in Spanish Harlem lag ruhig zwischen einer Bodega und einem Pfandleihhaus. Sie hatte einen kleinen, grauen Turm und war anders als die Bauten in ihrer Umgebung nicht mit Graffiti verziert. In ihrem Inneren roch es nach Kerzen, Blumen, Möbelpolitur. Wie es auch in einem netten Haus in einem Vorort roch.
Zumindest kam es Lieutenant Eve Dallas so vor, als sie den Gang zwischen den Bankreihen hinunterging. Vorne in der ersten Reihe saß ein Mann in einem schwarzen Hemd mit einem weißen Kragen, einer schwarzen Hose, mit gefalteten Händen und gesenktem Haupt.
Sie war sich nicht sicher, ob er betete oder nur wartete, im Grunde war ihr das auch egal. Sie umrundete den warm schimmernden Sarg, der unter einer Vielzahl roter und weißer Nelken fast nicht mehr zu sehen war. Auch der tote Mann, für den zuvor die Messe abgehalten worden war, kümmerte sie nicht.
Sie schaltete das Aufnahmegerät am Aufschlag ihrer Jacke ein, doch als sie die beiden kurzen Stufen in Richtung Altar– und des Toten, der für sie von Interesse war– erklimmen wollte, zupfte ihre Partnerin an ihrem Ärmel und flüsterte ihr zu: » Hm, ich glaube, wir sollten erst noch einen Knicks machen.«
» Ich knickse nie.«
» Nein, im Ernst.« Peabodys dunkle Augen überflogen den Altar und die Heiligenstatuen. » Das dort oben ist geweihter Boden oder so.«
» Seltsam, für mich sieht es so aus, als ob dort ein Toter liegt.«
Eve trat vor den Altar, hinter ihrem Rücken sank Peabody in einen kurzen Knicks, lief ihr dann aber eilig hinterher.
» Das Opfer wurde als Miguel Flores, fünfunddreißig Jahre, katholischer Priester identifiziert«, sprach Eve in ihr Aufnahmegerät. » Der Leichnam wurde bewegt.« Sie warf einen kurzen Blick auf einen der uniformierten Beamten, der zur Sicherung des Fundortes herbeigerufen worden war.
» Ja, Madam. Das Opfer brach während der Messe zusammen, und während jemand einen Krankenwagen rief, wurden Reanimationsversuche durchgeführt. Bei unserer Ankunft waren bereits zwei Kollegen wegen der Beerdigung vor Ort. Der Beerdigung von ihm«, fügte er mit einer Kopfbewegung Richtung Sarg hinzu. » Sie haben die Leute zurückgehalten und den Bereich um den Altar vorsorglich abgesperrt. Jetzt warten sie auf Sie.«
Sie hatte sich die Hände und die Schuhe bereits draußen vor der Kirche eingesprüht, weshalb sie jetzt ungehindert neben ihrem Opfer in die Hocke gehen konnte. » Besorgen Sie die Fingerabdrücke, ermitteln die genaue Todeszeit und so weiter«, sagte sie zu ihrer Partnerin und sprach in den Rekorder: » Das Opfer hat auffallend rosige Wangen. Die Gesichtsverletzungen an der linken Schläfe und am linken Wangenknochen sind wahrscheinlich Folge seines Sturzes.«
Sie sah wieder auf, bemerkte den silbernen Kelch auf dem befleckten, weißen Leinentuch, stand auf, ging zum Altar und schnupperte an dem Gefäß. » Hat er hieraus getrunken? Was hat er gemacht, als er zusammenbrach?«
» Er hat das Abendmahl genommen«, kam der Mann inder ersten Bankreihe dem uniformierten Beamten zuvor.
Eve trat auf die andere Seite des Altars. » Arbeiten Sie hier?«
» Ja. Dies ist meine Kirche.«
» Ihre Kirche?«
» Ich bin hier der Hauptpfarrer.« Als er aufstand, wurde deutlich, dass er ein kompakter, muskulöser Mann mit traurigen, dunklen Augen war. » Ich bin Pater López. Miguel hat die Totenmesse abgehalten und das Abendmahl genommen. Er hat aus dem Kelch getrunken und brach praktisch im selben Augenblick zusammen. Sein Körper fing an zu zucken, er rang nach Luft und dann fiel er zu Boden.« Der fast unmerkliche Akzent, mit dem er sprach, erschien Eve wie ein exotischer Film auf rauem Holz. » Es waren Ärzte und Sanitäter da, die versucht haben ihn wiederzubeleben, aber es war zu spät. Einer von ihnen meinte, es sähe nach einer Vergiftung aus. Aber das glaube ich nicht.«
» Und warum nicht?«
López zuckte mit den Schultern. » Wer würde schon einen Priester auf eine solche Art und in einem solchen Augenblick vergiften?«
» Woher kam der Wein? Der in dem Kelch?«
» Wir bewahren den Wein für das Abendmahl in der Sakristei in dem verschlossenen Tabernakel auf.«
» Und wer hat dazu Zugang?«
» Ich. Miguel, Martin– das heißt, Pater Freeman– und die Ministranten, die bei der jeweiligen Messe dienen.«
Also jede Menge Leute, dachte Eve. Weshalb machte man sich überhaupt die Mühe und schloss dieses Tabernakel ab?
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