Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
sich ja selbst ganz verrückt, Jolene. Beruhigen Sie sich.« Erschrocken riss sie die Augen auf, versteifte sich am ganzen Körper, bevor ihre Miene trotzig wurde.
»Schon besser.« Er lockerte seinen Griff. »Es passiert Ihnen nichts. Ich bin gleich wieder da.« Bevor sie protestieren konnte, sprang er über den Straßengraben und eilte in den Wald. Erst zwischen den Bäumen wurde ihm klar, wie schnell es dunkel werden würde. Das Blätterdach der Bäume verdeckte das Wenige an Sonnenlicht, das noch den Himmel erhellte.
»Praytor!« Er beschloss, jegliches Männlichkeitsgehabe fahren zu lassen. »Praytor! Ich hab Spuren gefunden. Von einem Kind!«
Keine Antwort. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte er das Gefühl, die Männer, die zur Suche in den Wald gegangen waren, wären für immer verschwunden, einfach vom Sumpf verschluckt.
»Praytor!« Es kümmerte ihn nicht mehr, ob Panik in seiner Stimme mitschwang. »Ist hier jemand?«
Seine Stimme wurde von den Baumstämmen zurückgeworfen. Eine Bewegung links von ihm ließ ihn abrupt innehalten. Er hatte sie nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Langsam drehte er sich um, doch im fahlen Licht war nichts zu erkennen.
»Herr, beschütze diesen deinen Diener vor den Machenschaften des Bösen.« Er bekreuzigte sich. Es war ihm mittlerweile völlig egal, ob er ein lächerliches Bild abgab. Wenn sich die Männer der Suchmannschaft mit ihm einen Spaß erlauben wollten, dann sollten sie ruhig. »Praytor! Hört mich denn keiner?«
Am Rand der Dunkelheit bewegte sich etwas und huschte lautlos von einem Baum zu einem Strauch. Jetzt hatte er es wirklich gesehen. Es war keine Einbildung, kein Streich seiner Phantasie. Jemand war hier, gleich in der Nähe. Jemand, der auf seine Hilferufe nicht reagierte.
Die Bäume um ihn herum waren zu dunklen Silhouetten geworden. Vor ihm lag ein schwarzes Morastloch mit Sumpfzypressen, deren knotige Stämme sich wie das Rückgrat eines urtümlichen Seeungeheuers aus dem Wasser erhoben. Er wich zurück, bis er die Rinde eines Baums am Rücken spürte.
In der vollkommenen Stille glitt etwas mit einem sachten Platschen von einem Baumstamm ins schwarze Wasser. Eine Schildkröte? Schlange? Ein Alligator? Er wusste es nicht.
Als er sich in die andere Richtung drehte, sah er nur noch Baumstämme und Unterholz, das nach allen Richtungen gleich aussah. Er hatte sich keine fünfzig Meter von der Straße entfernt, aber irgendwie die Orientierung verloren. Nachdem die Sonne untergegangen war und die Dunkelheit über ihn hereinbrach, wusste er nicht mehr, in welcher Richtung die Straße und Jolene lagen.
»Jolene!« Er rief ihren Namen und hoffte, wenn sie antwortete, zur Straße zurückzufinden.
Aber es kam keine Antwort. Es war, als wäre die gesamte Umgebung verhext. Aber das war natürlich vollkommener Unsinn! Er glaubte nicht an Hexerei. Eine Suchmannschaft aus erwachsenen Männern verschwand nicht einfach so im Wald.
Er glaubte auch nicht an eine Frau, die sich in einen Wolf verwandelte.
Wieder bemerkte er eine Bewegung im Unterholz. Diesmal erkannte er deutlich eine menschliche Gestalt. Jemand mit zwei Beinen. Aber die Person hatte sich so schnell bewegt. Und so lautlos.
Er berührte das Kreuz, das er um den Hals trug. In den zehn Jahren, die er nunmehr in New Iberia war, hatte er die Sümpfe immer gemieden. Tief in seiner Seele wusste er, dass etwas in der weichen schwarzen, laubdurchsetzten Erde lauerte. Etwas wartete hier auf ihn. Nur auf ihn. Jahrelang hatte er es gemieden, und jetzt würde er sich ihm stellen müssen.
»Herr, gib mir Kraft für die Prüfung, die mir bevorsteht.« Er betete mit offenen Augen, sein Blick wanderte langsam über die Bäume vor ihm, und er hoffte und fürchtete gleichzeitig, dass er es mitbekam, wenn er angegriffen wurde. »Du bist der Schöpfer aller Dinge. Und auch das ist eines deiner Wesen. Ich werde keine Angst vor ihm haben durch die Kraft, die du mir gibst.«
Das Wesen trat hinter einem Baum hervor. Alles war ruhig, kein Blättchen regte sich. Der Priester wusste nicht genau, was er vor sich hatte. Es ging auf zwei Beinen, aber so stark nach vorn gebeugt, als wollte es sich jeden Moment auf allen vieren niederlassen. Was immer es auch war, es verhielt sich vollkommen reglos und beobachtete ihn, als wartete es darauf, was er tun würde.
»Adele?«, rief er. Es konnte kaum jemand anderes sein. »Adele, lassen Sie mich Ihnen helfen. Mit Gottes Hilfe können Sie das alles durchstehen.« Er hatte
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