Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
gesenkt, doch das hielt die Männer nicht davon ab, sie unverhohlen lüstern anzustarren – sie, die er als sein Eigen betrachtete. Es war das erste Mal, dass Raymond sie mit in eine Bar nahm. Die Verärgerung, die sich jetzt bei ihm einstellte, war ihm fremd. Er wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber in den vergangenen Wochen hatte er immer größere Besitzansprüche auf sie angemeldet. Sie war seine Frau – auch wenn er seine wahren Gefühle ihr gegenüber nicht zulassen wollte und sich immer wieder sagte, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdiente, anderen Männern zu Diensten zu sein. Seine finstere Miene aber verriet Florence mehr über seine Gefühle, als er jemals zugeben wollte.
»Ist er hier?«, flüsterte Florence, während sie neben ihm Platz nahm. Sie saßen beide mit dem Rücken zur Wand, so dass sie den gesamten Raum überblicken konnten. Das einzige Problem mit ihren Plätzen war der weit entfernte Ausgang. Falls Schwierigkeiten auftraten, würden sie die gesamte Bar durchqueren müssen, um ins Freie zu gelangen.
Raymond musterte jeden Gast. Es schienen vor allem Fischer und andere Leute zu sein, die in den Sümpfen lebten, Menschen am Rand der Gesellschaft. Sie waren nie zur Armee eingezogen worden, weil ihre Geburt nie registriert worden war. Wenn sie starben, würde es keinen Gottesdienst und keinen Papierkram geben. Sie verschwanden einfach wieder in den Sümpfen, in denen sie lebten.
Drei Männer saßen an der Theke, zwei weitere mit drei ziemlich abgetakelt aussehenden Frauen an einem Tisch. Florence war wie eine exotische Blume in einem Straßengraben voller Unkraut. Er zog seinen Stuhl ein wenig näher an ihren.
»Hab ich dir jemals erzählt, wie ich zu dieser Narbe gekommen bin?« Sie berührte ihre Wange und die dünne, halbmondförmige Linie, die auf ihrer braunen Haut kaum zu erkennen war.
»Nein.« Es würde keine sehr unterhaltsame Geschichte werden. Er sah es an ihren klaren grünen Augen.
»Als ich dreizehn war, arbeitete Mama in der River Street in Baton Rouge. Es war eines der besseren Häuser, und wir wohnten etwa zwei Straßenzüge südlich davon. Wir hatten unser eigenes Haus, und ich ging auf eine private katholische Schule gleich in der Nähe. Das Haus war klein, aber es gab einen Garten.« Sie lächelte; sie war weit, weit weg.
»Es war ein Herbstmorgen. Mama schlief noch, und ich ging nach draußen, um Blumen für sie zu pflücken. Der Garten war voll mit Schmetterlingen. Großen orangefarbenen Monarchfaltern. Einer von ihnen landete auf meiner Hand und blieb dort sitzen. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin aus einem Märchen und erwartete, dass sich der Schmetterling jeden Moment in eine gute Fee verwandelte.«
Sie lachte, ein raues Lachen, bei dem Raymond glaubte, sein Herz müsste zerspringen. Er musste sie nicht ansehen, um sich vor dem zu fürchten, was sie ihm gleich erzählen würde. So lange hatte er sich hinter seiner eigenen Vergangenheit verschanzt, dass er niemals hatte erfahren wollen, was Florence durchgemacht hatte. Jetzt würde er es zu hören bekommen, ob er wollte oder nicht.
»Als ich aufschaute, stand ein Mann im Garten. Er war Mama nach Hause gefolgt. Bevor ich irgendetwas tun konnte, packte er mich an den Haaren, hielt mir ein Messer an den Hals und sagte mir, was ich zu tun hatte. Als ich mich losreißen wollte, schnitt er mich im Gesicht. Er sagte, er würde mir die Augen ausstechen.«
»Das hab ich nicht gewusst, Florence.«
Sie hob die Hand. »Und dort im Blumengarten meiner Mutter, mit den vielen Schmetterlingen um mich herum, durfte ich zum ersten Mal kosten, wie es ist, einen Mann zu befriedigen.«
Er sah die Tränen in ihren Augen und wusste, sie würde es nie zulassen, dass sie ihr über die Wangen liefen. Er legte seine Hand auf ihre. »Es tut mir leid. Ich hätte dich nie bitten dürfen, mit mir dorthin zu fahren. Es war falsch, Florence.« Ihre Hand zitterte. Er drückte sie sich an die Brust.
»Am nächsten Tag zogen wir nach Shreveport. Mama verließ das Haus in der River Street, in der sie gearbeitet hatte, weil der Mann ihr von dort nach Hause gefolgt war und ihr das einzig Wertvolle in ihrem Leben geraubt hatte.« Sie starrte ihn an. »Als du mich gebeten hast, in die River Street zu gehen, hast du wesentlich mehr von mir verlangt, als dir klar war.«
»Es war falsch.« Er drückte nochmals ihre Hand. »Der größte Fehler meines Lebens. Du hättest etwas Besseres verdient.«
»Was hätte ich verdient,
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