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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Unterschied zur dünnen, kantigen Adele war Bernadette stämmiger, aber die Verwandtschaft war nicht zu verkennen. Ihr ganzes Gebaren zeugte von Aggressivität und Wut.
    »Der loup-garou mag nur eine Legende sein, Vater, aber der Teufel treibt wirklich sein Unwesen in Iberia. Sie werden doch nicht den Glauben an den Teufel verloren haben, Vater?«
    Der Priester sah an Bernadette vorbei zu den Eichen neben dem Pavillon. »Ich glaube an den Teufel, Bernadette. Sehr sogar. Manchmal ist es leichter, an das Böse als an das Gute zu glauben. Das ist dann vielleicht die größte Sünde überhaupt.«
    Der Priester hatte sichtlich mit sich zu kämpfen. So sehr, dass sich Florence gezwungen sah, ihre Meinung über ihn zu ändern. Sie hatte ihn immer für einen ehrgeizigen Menschen gehalten und ihm diese Demut und Sorge, die sich jetzt in seiner Miene abzeichneten, gar nicht zugetraut. Er war Priester, dennoch war er keineswegs über die Zweifel erhaben, die die Menschen immer wieder plagten. Florence hatte schlichtweg nicht erwartet, dass Michael Finley keinen Hehl aus den Kämpfen machte, die er mit sich auszufechten hatte.
    »Meine Schwester, Adele , hat sich der Finsternis überantwortet.« Bernadette trat entschlossen vor den Priester. »Sie hat sich ein Kind geholt, Vater. Vielleicht, weil sie damit ihre eigenen toten Kinder ersetzen wollte. Ich weiß es nicht. Aber Adele kann sich um Kinder nicht kümmern. Sie konnte sich um ihre eigenen Jungs nicht kümmern. Ich wollte ihr helfen. Ich wollte ihr zeigen, was Kleinkinder brauchen.« Schwer ließ sie sich auf einen der lederbezogenen Schaukelstühle fallen. »Kurz vor dem Tod ihrer Kinder hat sich Adele seltsam aufgeführt. Sie und auch Rosa.«
    Vater Michael fuhr sich über die Wange. Es war nicht ersichtlich, ob er sich Schweiß oder eine Träne wegwischte. »Rosa war eine gute Frau, Bernadette. Sie wollte diese Wundmale nicht.«
    »Wirklich? Oder hat sie nur alle hinters Licht geführt?« Bernadette schüttelte den Kopf. »Sowohl Adele als auch Rosa haben immer alles getan, um was Besonderes zu sein, damit immer alle Augen auf sie gerichtet sind und alle über sie reden. Von klein auf. Rosa hat immer gebetet. Sie ging raus, um die Wäsche aufzuhängen, und dann kam sie rein und erzählte uns von ihrem Gespräch mit der Heiligen Jungfrau. Und die Wäsche lag immer noch im Korb.« Bernadette erhob sich und schritt auf und ab. »Adele war auf ihre Art genauso schlimm. Immer dachte sie sich irgendwelche Geschichten aus. Geschichten, die uns allen Angst einjagten. Rosa redete mit den Engeln und Heiligen, und Adele tanzte mit den Dämonen. Sie erzählte uns grausame Dinge, und das machte sie, weil es in ihrer Natur lag. Sie hat sich schon damals der Finsternis verschrieben.«
    Bernadette kam ans Verandaende, wo Florence sich versteckt hielt. Die Kamelienbüsche waren dicht, trotzdem hielt sie den Atem an, als ein kleiner Zaunkönig aus den Blättern aufstob und Bernadette erschreckte, die sich daraufhin umdrehte. Florence fühlte sich entdeckt, sie wusste, es war falsch, was sie hier machte, aber sie konnte sich nicht losreißen. Noch nicht.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte der Priester.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Bernadette nach einer langen Pause. »Ich möchte, dass Sie Adele sehen, wie sie wirklich ist. Manche wollen sie retten.« Sie strich sich mit den Händen über ihr Kleid. »Aber sie kann nicht gerettet werden.«
    »Sie werden sie umbringen, Bernadette. Das wissen Sie, oder? Sie werden keine Gnade walten lassen.«
    »Letztendlich wird das vielleicht die größte Gnade überhaupt sein.« Bernadette lehnte sich gegen einen Pfosten. »Beten Sie, dass Gott ihrer Seele gnädig ist, Vater. Das ist alles, was Sie für sie tun können.«

23
     
     

     
     
     
     

     
    aymond lag reglos auf dem Bett, als würde er schlafen. Die Wirkung der Medikamente ließ allmählich nach, nun musste er nur noch eine Möglichkeit finden, aus dem Bett zu kommen. Der leere Keksteller stand neben den Kaffeetassen auf dem Fensterbrett. In der nachmittäglichen Brise, die vom Teche her wehte, wölbten sich die hauchdünnen Vorhänge und legten sich wie ein durchscheinender Umhang um Florence, die neben seinem Bett auf einem Stuhl saß und eine Zeitschrift las. Sie schob den Vorhang zur Seite, schlug erneut die Beine übereinander und las weiter. Sie war das körperlich vollkommenste Wesen, dem Raymond jemals begegnet war.
    Er hatte die Kekse nur gegessen, um sie

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