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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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    »Geht nach Hause. Alle. Geht, bevor es zu spät ist.« Joe deutete zur Straße. »Bislang ist nichts passiert. Geht, bevor ich euch alle verhafte.«
    Bernadette stieß einen Schrei aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis dem Priester klar wurde, dass sie lachte.
    »Dann verhaften Sie uns doch, Sheriff«, sagte sie. »Setzen Sie uns alle hinter Schloss und Riegel.« Wieder ihr seltsam bellendes Lachen. »Die Einzigen, die Sie einsperren können, sind Kinder.«
    »Geht nach Hause!« Der Priester zeigte in Richtung Straße. »Verschwinden Sie aus meinem Garten, Bernadette Matthews, bevor ich Sie anzeige.«
    Hinter sich hörte er einen Entsetzensschrei, bei dem sich ihm die Härchen im Nacken aufstellten. Mehrere Männer in der Menge zuckten zusammen und wichen zurück. Und dann kam Colista aus dem Haus geschossen, drängte sich zwischen dem Priester und Joe hindurch und rannte geradewegs in die Menge, drückte gegen die Mauer aus Leibern, bis die Männer zur Seite wichen und sie durchließen. Staunend sah ihr der Priester hinterher und musste daran denken, wie sich das Rote Meer für Moses geteilt hatte.
    »Großer Gott!«
    Joes atemloser Kommentar brachte den Priester dazu, sich umzudrehen. Der Sheriff starrte auf die offene Tür. Dort stand Adele und ließ ihren irren Blick über die Menge schweifen, bis sie ihre Schwester fand.
    »Schnappt sie euch!«, schrie jemand. Der Mob drängte nach vorn. Der Priester rannte die Stufen hinunter und nahm das Gewehr in Anschlag. Bevor er abdrücken konnte, brach die Menge über ihn herein, jemand schlug ihm hart gegen die Stirn, er spürte, wie er zu Boden ging, wie er von Händen aufgefangen wurde und mit seinem Körper den Ansturm der wütenden Leiber verlangsamte. Dann wurde ihm die Waffe entrissen.
     
    Raymond sah, wie der Priester in der Menge verschwand. Adele stand mit verwirrtem Gesichtsausdruck in der Tür und streckte die Hand nach ihrer Schwester aus. Ihr Mund bewegte sich, aber ihre Worte waren im tosenden Lärm nicht zu verstehen.
    Der Sheriff versuchte noch erfolglos, nach der Robe des Priesters zu greifen. Nachdem er dem Priester nicht mehr helfen konnte, versuchte er gewaltsam, Adele ins Haus zu schieben. »Rein!«, schrie er sie an, während er bereits von Händen gepackt wurde.
    Adele rührte sich nicht. Ihr Blick war starr auf Bernadette gerichtet.
    »Tötet sie!«, erklang Bernadettes Stimme über dem Lärm. »Tötet sie! Jetzt!« Bernadette zückte eine Pistole, hielt sie mit beiden Händen fest und richtete sie auf Adele.
    Erfolglos drängte Raymond gegen die Menge an. Der Widerstand der Leiber hielt ihn am Rand fest. Bernadette wollte Adele töten, hatte es schon die ganze Zeit über geplant. Nur so konnte sie sichergehen, dass ihre Schwester für alles verantwortlich gemacht werden konnte.
    »Nein!«, schrie er. »Nein!«
    Und dann, inmitten des lärmenden Tobens, hörte er den Ruf eines Falken. Er sah hoch zum wolkenlosen Himmel, suchte nach den roten Schwanzfedern und den ausgebreiteten Schwingen. Nichts bewegte sich in der blauen Endlosigkeit. Und er dachte an Antoine, den Bruder, den er nicht beschützt hatte.
    In einer einzigen fließenden Bewegung zog er die Pistole und drückte den Abzug durch. Der Schuss verwirrte die Menge. Sie wogte vor, wich dann zurück, Münder bewegten sich, aber nichts war zu hören. Bernadette griff sich an die Brust und taumelte, drehte sich zu ihm um und sah ihn mit ungläubiger Miene an, bevor sie inmitten der anderen zu Boden sackte.
    Raymond stand mit erhobener Pistole da. Der Sheriff packte Adele und eilte ins Haus. Die Tür wurde zugeworfen, und plötzlich war Raymond umgeben von hastenden Männern, die sich aus dem Staub machten.
    Sie zerstreuten sich in alle Richtungen. Raymond war mit Bernadette allein. Sie lag auf der Seite, den Rücken ihm zugekehrt. Er ging auf sie zu und blieb nur wenige Zentimeter vor ihr stehen. Dann ging er in die Hocke und rollte sie auf den Rücken. Ihre blinden Augen starrten in die Sonne, als würde auch sie nach dem Falken Ausschau halten.

31
     
     

     
     
     
     

     
    aymond stand vor dem Krankenzimmer, in dem er vor kaum zwei Tagen selbst gelegen hatte. Doc Fletcher war seit dem Spätnachmittag bei Adele. Er wich nicht von ihrer Seite, außer um am Telefon andere Ärzte zu konsultieren. Bis auf seine Frau ließ er niemanden ins Zimmer.
    Eine kleine, mit Fliegengitter geschützte Veranda bot Platz, um sich zurückzuziehen. Er ließ sich auf einem alten Schaukelstuhl

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