Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
die Wut auf den Deputy nachvollziehen. Raymond hatte sich benommen, als hätte er auf alles eine Antwort. Nie hatte er sich die Mühe gemacht, sein oft überstürztes Vorgehen zu erklären. Wäre er nicht gewesen, wäre Adele jetzt in einer Irrenanstalt oder dem Staatsgefängnis. Da hatte Joe vollkommen recht.
»Ich verstehe Sie, aber Raymond kommt an Adele heran. Er kann sie vielleicht zur Vernunft bringen. Ich fürchte, wenn wir reingehen und versuchen, sie festzunehmen, werden Sie sie töten müssen.«
Joe seufzte. Ihre Blicke trafen sich. »Haben Sie jemals daran gedacht, dass es für sie besser wäre, wenn sie tot ist?« Er beugte sich vor. »Draußen versammeln sich die Leute. Sie haben sich, als Sie angerufen haben, im Sheriffbüro aufgehalten. Einige davon sind Freunde von Praytor – wusste gar nicht, dass er überhaupt Freunde hatte. Andere haben einfach nur eine Heidenangst. Wenn sie erst erfahren, dass Adele hier drin ist, werden sie kommen und sie sich mit Gewalt holen.«
Der Priester wusste, dass sie drei keinen Mob aufhalten konnten. »Sie fürchten, sie könnten sie aufknüpfen?«
»Schlimmer noch. Ich fürchte, sie werden sie verbrennen.« Joe verzog kein bisschen die Miene und sah dem Priester unumwunden in die Augen. »Das muss man angeblich tun, um einen loup-garou zu töten, damit sein Fluch nicht auf andere übergeht. Es ist der böse Blick, Vater, davor haben sie Angst. Sie wollen sie schnappen, ihr einen Mehlsack über den Kopf stülpen, damit sie sie nicht mehr anschauen kann, und sie dann verbrennen.«
»Aber das ist ja barbarisch!« Der Priester stieß sich vom Tisch ab und stand auf. »Das können wir nicht zulassen.«
Joe erhob sich ebenfalls und trat ans Fenster. »Lettie in der Telefonvermittlung hat ganze Arbeit geleistet, nachdem Sie mich angerufen haben, um mir zu sagen, dass Adele hier ist.« Er deutete zur Straße. »Schauen Sie sich an, was da auf uns zukommt. Und dann wollen Sie mir sagen, dass eine Kugel nicht der angenehmere Tod wäre?«
30
ie Matthews-Kinder saßen ruhig auf dem Rücksitz, während Raymond in die Stadt fuhr. »Wo ist eure Mutter?«, fragte er. Das freundschaftliche Verhältnis, das John zu ihnen aufgebaut hatte, war sofort in sich zusammengebrochen, als Raymond darauf beharrt hatte, sie sollten in den Wagen steigen.
»Bernadette schwebt vielleicht in Gefahr.« Er wollte die Kinder einschüchtern. Falls Bernadette nichts mit den Morden an Henri, Praytor und jetzt auch noch an Marguerite zu tun hatte, war sie wahrscheinlich das nächste Opfer. »Wenn ihr wisst, wo eure Mutter steckt, dann müsst ihr es mir sagen.« Raymond beobachtete die Kinder im Rückspiegel.
»Sie ist fort«, antwortete Stella.
Sie war um die elf oder zwölf. Im Rückspiegel traf ihn ihr argwöhnischer Blick. Sie hatte Angst, war aber entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Er war von ihr beeindruckt.
»Fort wohin?«, fragte er mit sanfterer Stimme.
Sie schüttelte den Kopf. Es war nicht zu erkennen, ob sie es nicht wusste oder sich nur weigerte, es ihm zu sagen. Er sah zum Jungen neben ihr. Er war vielleicht acht Jahre alt, mit einem wachen Blick. »Junge, wo ist dein Vater?«
»Fort«, sagte das Mädchen.
»Ich hab mit deinem Bruder geredet.« Er musste Bernadette finden, bevor es noch mehr Blutvergießen gab. Falls Bernadette Adele in ihrer Gewalt hatte, würde sie sie umbringen. Florence hatte ihm erzählt, was Bernadette zum Priester gesagt hatte: dass der Tod ein Segen für Adele sei. Aber mehr noch für Bernadette, falls sie tatsächlich hinter allem steckte.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Jungen, der eher gewillt war zu reden. »Junge, ich muss deinen Pa finden. So schnell wie möglich.« Könnte sein, dass der verschwundene Mr. Matthews wusste, wo sich seine Frau aufhielt.
John drehte sich zu den Kindern um. »Falls euch beide Eltern verlassen haben, wird der Staat die Vormundschaft für euch übernehmen, und ihr werdet ins Waisenhaus nach Baton Rouge geschickt.«
Die Lippen des Mädchens zitterten. »Das können Sie nicht tun.«
»Nein, ich nicht«, sagte John. »Aber er.« Er zeigte auf Raymond. »Und glaubt mir, er wird das tun. Also, wo ist euer Vater? Ich weiß, ihr glaubt es nicht, aber wir wollen euch wirklich helfen.«
»Er ist abgehauen, er. So vor drei Monaten.« Der Junge sprach mit einem ausgeprägteren Dialekt als das Mädchen. »Aber Mama wird wiederkommen. Wir sind nicht allein.«
»Wo ist sie?«,
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