Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
gibt gottgefällige Pflichten, über die zu reden sein wird.« Er ging zum Fenster und sah hinaus. Die Pflanzen gediehen prächtig in der feuchten Hitze von Louisiana. Sogar jetzt noch, so spät im Jahr, trugen die Rosen in seinem Garten Blüten. Während die Nonnen für den Kriegsgarten, aus dem sie ihre Lebensmittel bezogen, Kohl und anderes Wintergemüse anbauten, hatte der Priester verschiedene Chrysanthemensorten gepflanzt, die seine Wege in leuchtenden Farben säumten – Gold, Orange, Rotbraun, die Farbenpracht des Sonnenuntergangs, mitten hier in einem unwirtlichen Sumpf.
Hinter dem Garten befand sich ein schmiedeeiserner Zaun, und hinter diesem eine Lebenseiche, deren Äste tief über den Boden hingen. Lebhaft stand ihm noch das Bild vor Augen, als er an jenem Morgen durch genau dieses Fenster sah, voller Freude seine Blumen betrachtete und sein Blick daraufhin zum Zaun und zur Eiche schweifte, wo, wie ihm damals voller Entsetzen dämmerte, Rosa Hebert sacht im leichten Wind hin und her schwang.
Er hörte nicht, wie die Tür geschlossen wurde und Jolene, deren Schritte von seinem ganz eigenen Albtraum übertönt wurden, das Zimmer verließ.
Die zwanzig Sträflinge, meistens Neger, schwangen ihre Macheten, rückten der Reihe nach vor, schwangen erneut die Werkzeuge und hackten sich ihren Weg durch die violetten Zuckerrohrreihen. Hinter ihnen schälte eine weitere Reihe von zwanzig Männern die Stängel und warf sie auf einen Wagen, der sie in die Raffinerie bringen würde. In der Ferne, auf einem benachbarten Feld, sah Raymond Wanderarbeiter, bezahlte Arbeitskräfte, die ebenfalls die Rohre hackten und schälten. Haitianer und Puerto-Ricaner brachten für minimale Löhne die Ernte ein. Aber es waren die Sträflinge, die Raymond interessierten. Henri bestimmte über ihr Leben wie sonst die Menschen über das Schicksal von Vieh.
Ein leichter Wind strich über die Felder, der Geruch des ausgekochten Zuckers wurde von einer der Raffinerien herangeweht. Ein widerwärtig süßer Geruch, der einem den Atem raubte. Die Männer aber schufteten, als würden sie nichts davon wahrnehmen. Raymond sah ihnen zu, dem endlosen Bücken und Hacken der ersten Reihe, gefolgt vom schnellen Schälen und Aufladen der zweiten. Das Rohr musste ganz unten durchgehackt werden, da der süßeste Teil nah am Boden lag. Fast jeder, der im Süden Louisianas lebte, hatte irgendwann auf einem Zuckerrohrfeld gearbeitet; eine beschwerliche Tätigkeit, die bei ihm noch im Jugendalter den Entschluss hatte reifen lassen, dass er an Landarbeit nicht interessiert war.
Die Sträflinge bewegten sich in einem steten Rhythmus durch die schwankenden Zuckerrohre. Sie würden bis zum Einbruch der Dunkelheit schuften und mit dem ersten Tageslicht wieder auf den Beinen sein. Es war ein Wettlauf gegen den ersten Frost des Jahres, der das noch ungeerntete Rohr zerstören würde. Marguerite Bastions luxuriöse Zukunft ruhte auf den Rücken der Sträflinge und der ins Land geholten Habenichtse, die sich auf ihren Feldern abquälten.
Selbst aus der Ferne war zu erkennen, dass die meisten Männer nur Haut und Knochen waren, er hörte das Klacken der Fußketten, die sie aneinander und an die Arbeit banden. Die Ketten wären unnötig gewesen. Keiner der Männer machte den Eindruck, als würde er es in seinem erbärmlichen Zustand auch nur bis zur Straße schaffen, wenn er zu fliehen versuchte. Was für eine Ironie – die Sklaven, die früher das Zuckerrohr angebaut und geerntet hatten, waren besser behandelt worden, weil sie als finanzielle Investition angesehen wurden. Aber umso besser für den Staat. Wenn nur die Hälfte der Sträflinge nach Angola zurückkehrte, hatte er nur noch halb so viele Mäuler durchzufüttern.
Er fuhr zum Haus weiter und hielt an. Er war halb über dem Hof, als Marguerite auf die vordere Veranda trat. Wie bei Bernadette Matthews klammerte sich ein Kind an ihren Rock. Anders als Bernadette war Marguerite hübsch gekleidet. Die Kamee an ihrem Hals war ein teures Schmuckstück; die goldenen, mit Perlen verzierten Ohrreifen waren echt.
»Wo ist der Leichnam meines Mannes?« Sie hob das Kinn; ihre stolze Haltung brachte unmissverständlich ihre Abkunft von den Mandevilles zum Ausdruck. Was hatte ihre Familie nur dazu bewogen, sie an Henri Bastion zu verheiraten? Gerüchten in der Stadt zufolge war sie für einen Anteil an Henris Wirtschaftsimperium verkauft worden. Obwohl er auf solchen Klatsch nicht viel gab, wusste er, wie es um
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