Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Bürgerin in den Seligenstand zu erheben, war es bereits zu spät.
»Weil sie jetzt tot ist, heißt das, dass ihr Fall auch nicht mehr untersucht wird?«
Er erhob sich, wäre am liebsten selbst im Zimmer auf und ab gegangen, um seine Anspannung zu lindern. Aber er zwang sich dazu, an Ort und Stelle zu verharren, ruhig, fest, ein Bild gefasster Stärke. »Da sie von eigener Hand starb, wird sich der Vatikan mit ihrem Fall nicht mehr befassen. Wäre sie unter anderen Umständen gestorben, hätte man die Untersuchungen fortgesetzt. Aber Selbstmord ist eine Todsünde.«
Jolene verzog ihre dünnen Lippen. »Das ist nicht gerecht. Wenn sich in meinen Händen jeden Freitag klaffende Wunden öffnen und zu bluten anfangen würden, würde ich auch an Selbstmord denken.«
»Jolene, das ist eine verdammenswerte Aussage.« Er schüttelte den Kopf, aber es gelang ihm nicht, seine eigene Traurigkeit abzulegen. »Über Selbstmord spaßt man nicht. Sie sind ein Geschöpf Gottes. Sie leben, weil er Ihnen das Leben geschenkt hat, und es ist seine Entscheidung, wann er Sie zu sich abberuft.«
»Manchmal lädt Gott einem zu viel auf.«
Er sah, wie ihr Hals pochte, sie war sich ihrer Blasphemie wohl bewusst. In Augenblicken wie diesem, so hatte er gelernt, war es angeraten, sich die Vergangenheit der betreffenden Person bewusst zu machen. Das verlieh ihm das, was unter seinen Gemeindemitgliedern als Weisheit durchgehen würde. Jolene war kinderlos und unglücklich verheiratet. Um die Taille herum wurde sie mit jedem Jahr breiter, ihre Attraktivität schwand. Sie schwankte auf der dünnen Linie zwischen den guten Werken, die sie für die Kirche tat, und der Gefahr, zu einer verbitterten, griesgrämigen Frau zu werden.
»So hart sich das anhören mag, aber alles, was Gott uns auferlegt, hat seinen Zweck. Er weiß um die Last, die Sie zu tragen haben, Jolene, und er sieht Tag um Tag, wie stark Sie sind.« Er zögerte. »Mein Studiengebiet war die Geschichte der irischen Kirche. Ich hoffte, nach Belfast geschickt zu werden, um in einem Land zu arbeiten, das ich liebte und verstand. Einem Land, in dem ein schrecklicher Krieg herrschte. Auf die Gemeinde hier in Iberia war ich nicht im Geringsten vorbereitet. Ich verstehe nicht, warum Gott mich hierhergeschickt hat, aber ich vertraue darauf, dass er einen Plan hat.«
»Ihr Vertrauen in Gottes großen Plan verblüfft mich. Woher wissen Sie, dass es wirklich so ist?«
Er klopfte sich an die Brust und glaubte einen Widerhall zu hören. »Hier drin. Der Glaube ist eine Sache des Herzens, nicht des Verstandes, Jolene.« Er wusste, welche Worte er zu sagen hatte, auch wenn er nicht mehr an sie glaubte.
Sie ahmte seine Geste nach. »Hier drin ist nichts als Leere. Ich möchte etwas fühlen, bevor ich zu alt werde.«
Jolene wollte geliebt werden. Sie brauchte Zärtlichkeit. Ihre Leere berührte ihn, aber er wusste keine Hilfe für sie. »Sie müssen zu Gott beten, damit er Ihnen Glauben schenkt. Wenn Sie danach suchen, wird Gott ihn Ihnen geben.«
»Ich habe Stunden auf den Knien verbracht.«
Der Zorn hatte sich wieder in ihre Stimme geschlichen. Plötzlich war er dieser Sache überdrüssig. »Gott verlangt, dass Sie sich hingeben. Beten Sie für die Gnade, sich seinem Willen überantworten zu dürfen.«
»Damit ich dann wieder zu Jacques nach Hause gehe und ihm das Essen zubereiten und die Pantoffeln holen darf?« Mit jedem Wort wurde ihre Stimme schriller. »Er liebt mich nicht, Vater. Ich will doch nur, dass mich jemand liebt!«
Der Priester fasste sie an den Schultern und hielt sie fest. »Gott liebt Sie, Jolene.«
»Das reicht nicht.« Sie würgte ein lautloses Schluchzen hervor. »Ich will doch nur, dass mich jemand in den Arm nimmt, dass ich mich sicher fühlen kann.«
Der Priester zog sie zu sich heran. Er verstieß damit gegen seine persönlichen Gebote im Umgang mit Frauen aus der Gemeinde, aber Jolene war am Rande des völligen Zusammenbruchs. Ihre bitteren Tränen nässten seinen gestärkten Kragen. Er hielt sie eng umschlungen in den Armen und verspürte nichts als Mitgefühl.
Er wartete, bis sie sich ausgeweint hatte, half ihr dann, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, und schenkte ihr einen kleinen Schluck Brandy in ein wunderbares Kristallglas, das seine Großmutter ihm aus Cork geschickt hatte. »Trinken Sie.«
Sie wollte ablehnen, aber er drückte ihr das Glas in die Hand.
»Wenn Jacques riecht, dass ich Alkohol getrunken habe …«
»Dann schicken Sie ihn zu mir. Es
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