Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
würden.« Er wollte sie nicht einschüchtern, aber ihr ausweichendes Verhalten schürte bei ihm den Verdacht, dass sie von ihrem Mann verlassen worden war. Allerdings beherbergte die Hütte kleine Kostbarkeiten, die sich eine alleinstehende Frau niemals leisten konnte.
»Bodine ist mit Clifton unterwegs. Sind mit einem reichen Mann aus Shreveport in den Sümpfen, um Wildschweine zu jagen.« Sie schnaubte. »Der Reiche will Abenteuer erleben. Vielleicht zahlt er ja einen Haufen Dollar, wenn er einen loup-garou zur Strecke bringen darf. Wir könnten meine Schwester in den Sümpfen freilassen und ihn dann auf ihre Spur ansetzen. Können Sie sich das vorstellen … ihr Kopf an der Wand in seinem Haus in Shreveport?« Tränen traten ihr in die Augen, die sie zornig mit den Fäusten wegwischte. »Warum muss Adele mir das antun? Warum muss sie Schande über mich bringen?«
Raymond legte die Hände auf die Knie und beugte sich vor. »Erzählen Sie mir von Rosa.«
»Was soll ich da erzählen?« Sie zuckte mit den Achseln und sammelte sich wieder. »Von morgens bis abends immer auf den Knien, so hat sie gebetet und um Gottes Gnade gefleht. Schrecklich, wenn man so was miterlebt.«
»Haben Sie ihre blutenden Hände gesehen?«
Sie trat auf ihn zu. »Ich hab das Blut gesehen, und ich hab die Wundmale gesehen.« Um ihren Mund trat ein harter Zug. »In ihrem Zimmer hab ich den Hammer und den Nagel gefunden. Es war Blut am Nagel. Wie würde ein Vertreter des Gesetzes das nennen? Indizien vielleicht?«
»Sie sagen, Rosa hat sich selbst einen Nagel in die Hände geschlagen?«
»Ich sag nur, was ich gefunden habe.«
»Warum sollte sie so was tun?« Die wichtigere Frage lautete, wer ihr dabei geholfen hatte. Sie konnte nicht gleichzeitig den Nagel und den Hammer halten.
Bernadette zuckte mit den Schultern. »Rosa war Papas Lieblingskind. Als er starb, sagte sie, sie hätte ihn im Garten gesehen, er hätte sie zu sich herangewinkt. Sie war überzeugt, dass sie auch bald sterben müsste. Und als das nicht geschah, meinte sie, Gott hätte sie für etwas ganz Besonderes ausersehen.«
»Und Adele?«
»Die hat sich schon immer auf der dunklen Seite aufgehalten, die. Sie war ungestüm und halsstarrig und lief nachts immer fort. Und hat Geschichten erzählt, bei denen wir uns zu Tode erschreckten. Einmal hat sie unserer Mutter gesagt, sie könnte fliegen. Mama glaubte, Adele hätte besondere Kräfte. Es stimmt schon, Adele kam ziemlich in der Gemeinde rum. Sie war hier irgendwo beim Tanzen, und dann hat man sie noch vor Mitternacht drüben in Breaux Bridge oder in St. Martinville gesehen.«
Die Eifersucht war Bernadettes Miene deutlich anzusehen. Äußerlich waren sie sich sehr ähnlich, aber in ihrem Gesichtsausdruck unterschieden sie sich. Selbst im Fieberdelirium wirkte Adeles Gesicht weicher. »Glauben Sie, Adele ist besessen?«
»Wenn, dann nur von dem Wunsch, immer die Prinzessin zu sein, auf die alle Augen gerichtet sind.«
»In welchem Verhältnis stehen Sie zur Familie Bastion?«
»Ich arbeite manchmal dort, wenn Mrs. Bastion mich braucht. Ich hab Adeles Stelle übernommen, nachdem sie gefeuert wurde. Sie zahlen regelmäßig.«
Raymond machte sich eine Notiz. Bernadette hatte ein hartes Leben hinter sich, das durch das öffentliche Aufsehen, das ihre beiden Schwestern absichtlich oder unabsichtlich erregten, nicht gerade einfacher geworden war. »Wissen Sie, ob Adele einen Grund haben könnte, sich den Tod von Henri Bastion zu wünschen?«
»Fragen Sie doch Veedal Lawrence, den Aufseher auf der Bastion-Plantage, was mit Armand Dugas passiert ist. Das beantwortet vielleicht Ihre Frage zu Adele. Dann müssten Sie auch nicht hierherkommen und mich belästigen. Und jetzt gehen Sie lieber, bevor mein Mann kommt. Er sieht es nämlich nicht gern, wenn ein Fremder in seinem Schaukelstuhl sitzt.«
6
ot vor Zorn ging Jolene im kleinen Büro auf und ab. »Wir sind den ganzen Weg rausgefahren, und sie war nicht da. Das schöne Essen! Wir haben es doch nicht auf der Veranda lassen können. Da waren überall Ameisen. Die hat das Hochwasser rausgetrieben. Also haben wir alles notgedrungen den Sträflingen gegeben, und ich sage Ihnen: Die haben allesamt ausgesehen, als hätten sie eine Woche lang nichts mehr zu essen bekommen.«
Der Priester hätte am liebsten aufgeseufzt, aber er bemühte sich, sachlich zu bleiben. »Mrs. Bastion hat einen schrecklichen Verlust erlitten. Sie ist nicht mehr sie
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