Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
erteilt.« Er lächelte. »Sie hat mir auch gesagt, ich soll die Bedingungen überprüfen, unter denen die Verurteilten hier leben. Sie sorgt sich nämlich um deren angemessene Verpflegung.«
»Sie schert sich einen Dreck um die Verpflegung.«
»Sie müssen Veedal Lawrence sein.« Raymond hielt die Papiere in der rechten Hand, die linke wanderte langsam zur Waffe an seiner Seite. Veedal machte nicht den Eindruck, als würde er von der Armee wegen körperlicher Gebrechen ausgemustert werden. Raymond aber wusste, dass er nicht einen Tag gedient hatte.
»Es kann Ihnen scheißegal sein, und wenn ich Peter Piper heiße. Und jetzt geben Sie mir die Listen und scheren sich aus meinen Büro.« Veedal fasste nach den Blättern.
Raymond trat einen Schritt zurück. Er musterte Veedal, dessen blasse Augen, das gereckte Kinn, seine ganze Haltung zum Ausdruck brachten, dass er es kaum erwarten konnte, auf ihn loszugehen. »Wenn Sie das noch mal versuchen, muss ich Sie erschießen.«
»Legen Sie die Kanone und das Abzeichen auf den Tisch, und kämpfen Sie wie ein Mann.«
Raymond lächelte. »Lieber knall ich Ihnen den Schwanz ab und seh zu, wie Sie ihn wieder dransetzen wollen.« Seine Finger schlossen sich um den Griff der Waffe. »Und jetzt will ich Armand Dugas sehen.«
Veedal grinste. »Das würde ich auch gern. Der Schweinepriester ist letzten Herbst abgehauen. Entweder hat er es tatsächlich lebend durch die Sümpfe geschafft, oder ein Alligator hat ihn sich geschnappt. Das weiß keiner so genau.«
»Sie wollen mir sagen, dass Dugas halb verhungert und in Fußfesseln von hier flüchten konnte?«
»Schon seltsam, was? Grenzt fast an ein Wunder. Eines Morgens bin ich hier runtergekommen, und seine Fußfesseln waren aufgeschlossen. Er selbst war fort, und keiner konnte sagen, was vorgefallen war, egal, wie sehr wir sie auspeitschten.«
»Er ist einfach auf und davon?« Widerstrebend lockerte Raymond den Griff um die Waffe. Am liebsten hätte er sie gezogen und sie Veedal ein paar Mal ins Gesicht gerammt.
»Mr. Henri hat sich fürchterlich aufgeregt. Trotz aller Macken war Dugas ein guter Arbeiter. Der Staat hat aber zwei als Ersatz geschickt, es passte also wieder. Mr. Henri war zufrieden.«
Raymond zweifelte nicht daran, dass Armand Dugas’ Leiche oder was davon noch übrig war irgendwo in den Sümpfen lag. Höchstwahrscheinlich hatte Veedal ihn zu Tode geprügelt oder zu Tode schuften lassen und die Überreste den Schweinen zum Fraß vorgeworfen oder im Sumpf versenkt.
»Wie viele andere Sträflinge haben Sie verloren, Veedal?«
Der Mann grinste. »Dugas war der einzige, der geflohen ist. Acht sind uns im letzten Jahr am Fieber gestorben.«
Das Fieber. Eine weitere bequeme Todesursache. »Ich bin mir sicher, dass Doc Fletcher hier war und die Todesursache bestätigt hat.« Veedals hitzigem Blick war die Antwort deutlich abzulesen. »Sorgen Sie lieber dafür, dass die Verpflegung der Männer erhöht wird. Beträchtlich erhöht wird. Ich werde wiederkommen und es nachprüfen, und wenn sie dann immer noch wie wandelnde Skelette aussehen, werden wir uns erneut unterhalten. Und es wird Ihnen nicht gefallen, was ich dann zu sagen habe.«
Veedal schlug die Hacken zusammen und salutierte. »Ja, Sir, Boss. Werd gleich tun, was Sie sagen.«
Raymond ließ die Papiere, die er in der Hand hielt, auf den Boden fallen und ging an Veedal Lawrence vorbei. Er hatte vorgehabt, die Sträflinge zu befragen, aber wenn Veedal dabei war, würden die Männer kaum mit ihm reden. In ein, zwei Tagen würde er wiederkommen. Und nachsehen, ob der Aufseher irgendetwas unternommen hatte.
7
ie Sonne stand über den Baumwipfeln, als Chula in den Weg zu Louiselle Dumonts Hütte einbog. Das Postamt hatte bereits geschlossen, aber es gab ältere Anwohner oder welche ohne Fahrzeug, denen Chula die Post zustellte, wann immer sie Zeit dafür fand.
Sie spürte den vertrauten Schmerz in ihrem müden Rücken, als sie den Wagen durch einen nassen Sandabschnitt steuerte. Wäre schön, einfach nach Hause fahren, ein heißes Bad nehmen und sich zu dem von ihrer Mutter zubereiteten Abendessen hinsetzen zu können. Es gab Tage, da glaubte sie, sie vermisse das Leben einer Frau und Mutter, meistens aber war sie froh, dass sie einfach nur Tochter sein konnte. Wenn sie bei ihrer Mutter erst mal ausgezogen war, würde niemand mehr sie verwöhnen. Denn in Iberia wie dem Rest des Landes ruhte das Joch der Hausarbeit fest auf den
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