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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Unterstützung«, sprach Raymond ihn mit leiser Stimme an. »Es gibt da noch ein paar Dinge, die Sie wissen sollten. Vertrauliche Dinge.«
    Der Priester war verblüfft. Thibodeaux vertraute sich in der Regel niemandem an. »Fahren Sie fort.«
    »Ich war heute Morgen bei Doc Fletcher. Trotz der Autopsie ist er zu keiner eindeutigen Todesursache gelangt.«
    »Was soll das heißen? Henri ist doch ermordet worden, oder?«
    »Ja und nein. Laut dem Arzt stammen die Bissspuren am Leichnam eindeutig von Tieren. Von Hunden oder Wildschweinen, mit Gewissheit lässt sich das aber nicht sagen. Henri könnte von einem wilden Tier getötet worden sein, vielleicht wurde er aber auch erdrosselt oder erstickt. Möglicherweise sogar erstochen.«
    »Der Doc hat nicht feststellen können …«
    »Er hätte es feststellen können, wären der Hals sowie Teile der Lunge nicht weggefressen gewesen. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Verletzungen am Leichnam vorsätzlich zugefügt wurden, um die wahre Todesursache zu verschleiern. Eine Todesursache, die nicht übernatürlichen, sondern sehr menschlichen Ursprungs ist.«
    Der Priester sah zu den Trauergästen, die mittlerweile ungeduldig darauf warteten, dass er mit dem Gottesdienst begann. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
    »Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Der Priester nickte und hoffte, seine Überraschung zu verbergen. Raymond Thibodeaux bat sonst niemanden um Hilfe. »Was kann ich tun?«
    »Helfen Sie mir, die Angst in der Gemeinde einzudämmen. Morgen ist Halloween. Wenn irgendetwas Unvorhergesehenes geschieht, und sei es nur ein Kinderstreich, könnte das eine regelrechte Panik auslösen.«
    Der Priester starrte in Raymonds dunkle Augen. Früher, hatte er gehört, seien sie goldbraun gewesen. Ebenfalls hatte er die Berichte gehört, wonach Raymond mit bloßen Händen Dutzende Deutsche getötet, dass er ihnen aufgelauert, sie in ausgebombten Gebäuden in tödliche Hinterhalte gelockt habe und in den Schützenlöchern über sie hergefallen sei. Den Mann, der vor ihm stand, umgaben zahlreiche Gerüchte und Legenden. Aber egal, was an den Geschichten aus dem Krieg dran war, der Deputy litt darunter. Der Priester sah es so deutlich, wie er seinen eigenen Schmerz spürte. »Ich werde tun, was ich kann. Das wäre …?«
    »Sie glauben doch an Wunder, oder, Vater?«
    Der Priester verkniff sich die einzige Antwort, die er darauf hätte geben können. Er hatte keine Ahnung, worauf Raymond hinauswollte. »Ja. Die Lehre der Kirche ist voll der Wunder Jesu.«
    »Wäre es auch ein Wunder, wenn sich ein Mensch in ein wildes Tier verwandelt? Sagen wir, zum Beispiel, in einen Wolf?«
    Die Frage war ihm selbst bereits durch den Kopf gegangen. »Wenn Sie auf den loup-garou anspielen, dann hätte das nichts mit Gott zu tun, sondern mit dem Teufel. Böse Kreaturen gehören ihrem Herrn, Satan.«
    Raymond berührte den Priester am Arm. »Das sind genau die Worte, die ich heute nicht von der Kanzel hören möchte.« Er rieb sich sein müdes Gesicht. »Ich bin davon überzeugt, dass Henri von einem Menschen getötet wurde. Von jemandem, der stark genug ist, um einen gesunden, kräftigen Mann niederzuschlagen, und der noch immer unbehelligt in New Iberia herumläuft. Henris Leichnam mag von Tieren zerfleischt worden sein, aber es war ein Mensch, der ihn auf dem Gewissen hat.«
    Der Unmut der Versammelten nahm merklich zu. »Wenn Adele ein loup-garou wäre, würde sie über die Kraft eines Dämons und die Zähne eines wilden Tiers verfügen, Deputy. Deswegen sagt man auch, er kann die Gestalt wechseln. Weil er die körperlichen Merkmale eines anderen Wesens annimmt.«
    »Überall redet man davon, Adele zu lynchen. Eine Stigmatisierte ist eine Sache, ein Werwolf eine ganz andere. Bitte, Vater, tragen Sie nicht auch noch zur Katastrophe bei.«
    Mehrere Nonnen standen ungeduldig in den Seitenflügeln. Der Priester ließ den Blick über die Versammelten schweifen. Marguerite Bastion wirkte so fragil, als könnte sie jeden Moment zusammenbrechen, ihre Söhne rangelten miteinander. Er musste mit der Messe beginnen. »Bitte nehmen Sie Platz, Deputy. Ich beginne mit dem Gottesdienst.« Er trat zur Kanzel, die Nonnen in ihren weißen Gewändern schwebten hinter ihm her.
    Der Priester versuchte Ruhe zu gewinnen, als er seinen Platz oberhalb des geschlossenen Sargs einnahm, er versuchte sich seiner Gemeinde anzunähern und den Anwesenden Trost zu spenden. Er betrachtete die Versammelten und hoffte auf eine göttliche

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