Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Eingebung, die seinen Worten Leben einhauchen würde. Die Bastion-Kinder brauchten mehr, als er ihnen geben konnte. Die Jungen hatten sich ganz augenscheinlich von ihrem Schmerz erholt und schlugen in der Kirchenbank aufeinander ein. Das Mädchen stierte nur vor sich hin, als wäre es nicht von dieser Welt.
Marguerite hatte ihre Pflichten als Witwe erfüllt. Henris Sarg, aus Sumpfzypressen geschreinert, war von einem der besten Handwerker des Staates angefertigt worden. Im Licht, das vom Fenster darauffiel, glänzte das Holz matt-rötlich.
Er vollzog die Rituale des christlichen Trauergottesdiensts und kam schließlich zu seinem bevorzugten Teil. Er räusperte sich und sah über die kleine Gemeinde. »Henri Bastions Leib weilt noch hier unter uns, seine Seele aber ist bereits in den Händen Gottes. Wie alle Sterblichen, die vor ihm verschieden sind und nach ihm noch verscheiden werden, muss er vor Gott treten und Zeugnis ablegen für das Leben, das er geführt hat.«
Nur Jolene schien ihm überhaupt Aufmerksamkeit zu schenken. Marguerite hatte einem Sohn den Arm um die Schulter gelegt und drückte ihn so fest an sich, dass ihre Tränen dem Jungen auf die Wangen tropften. Der Priester kam sich verloren vor. Nichts, was er vorbereitet hatte, würde in die Köpfe seiner Trauergemeinde dringen. Seine Worte würden, wie jeden Sonntag, nicht gehört werden. Zehn Jahre hatten ihn die Vergeblichkeit seiner Mühen gelehrt, das dichte Netz der tief verwurzelten Glaubensvorstellungen und Gepflogenheiten zu durchdringen, das die Cajun-Gemeinde umgab. Raymond hatte von ihm oder seinen Worten von der Kanzel nichts zu befürchten.
Er kam schnell zum Schluss. Als er sich neben Marguerite stellte, bevor der Sarg vorbeigetragen wurde, spürte er Jolenes tröstende Hand auf dem Unterarm.
Die Träger hoben den Sarg an und setzten sich zum Kirchfriedhof in Bewegung. Beim Friedhof musste er jedes Mal an Rosa denken, der er den Zugang verwehrt hatte. Jede Einzelheit an jenem Morgen stand ihm noch lebhaft vor Augen. Adele, die Rosa aus dem billigen Sarg gehoben, sie in ein kleines Boot gelegt hatte und dann flussaufwärts gepaddelt war zu einem ungekennzeichneten Grab in den Sümpfen.
Er versuchte diese Gedanken abzuschütteln, trat schnell nach draußen und setzte sich an die Spitze des Trauerzugs.
Die letzten Oktobertage hatten endlich ein wenig Abkühlung gebracht, es war ein frischer, sonniger Tag. Sein Ornat wurde ihm gegen die Beine geweht, während er hinter dem Sarg herschritt. Am besten sollte er wohl die Beerdigung zum Abschluss bringen und Gott dafür danken, dass die Sommerhitze ein Ende gefunden hatte.
Florence band sich einen Schal um den Kopf, ihre dunklen Locken sahen an einer Seite unter dem roten Stoff hervor, darunter baumelten ihre goldenen Ohrreifen. Sie trug eine Bauernbluse mit einem elastischen Band, das ihr erlaubte, Dekolleté und Schultern frei zu lassen. Dazu einen hellvioletten Rock und ein goldfarbenes Tuch, das sie sich um die schmalen Hüften band. Sie betrachtete sich im Spiegel und kam zu dem Schluss, dass sie exakt wie eine Zigeunerin aussah. Sie hatte sich für diesen Aufzug entschieden, weil sie Raymond die Zukunft lesen wollte. Im Garten hatte sie dazu einen Tisch aufgebaut mit einer durchsichtigen Glaskugel, die sie bei Sears Roebuck bestellt hatte und die als Kristallkugel herhalten musste. Die Kinder würden ihre helle Freude an ihr haben! Ihr Haus war sowieso das bevorzugte Ziel der Kinder in der Stadt, die von Anwesen zu Anwesen zogen und auf Süßigkeiten hofften, und sie hatte sie noch nie enttäuscht.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als es an der Tür klopfte. Ihren Stammkunden hatte sie gesagt, dass sie am heutigen Abend nicht verfügbar sei, und für die Kinder war es noch zu früh. Sie ging zur Tür und sah überrascht Raymond im Dämmerlicht stehen.
»Was ist los?«, fragte sie. Er wirkte ausgelaugt.
»Adele ist verschwunden.«
Florence zog ihn herein und schloss die Tür. »Verschwunden? Wohin?«
»Madame war im Wald, um Kräuter für ihre Tinktur zu sammeln, und als sie zurückkam, war Adele nicht mehr da. Sie muss die Sachen angezogen haben, die ich ihr gebracht habe. Madame hielt einen Wagen an, um in die Stadt zu kommen und mir Bescheid zu geben.«
»Verdammt.« Raymond würde deshalb Schwierigkeiten bekommen. »Irgendeine Ahnung, wohin sie geflüchtet sein könnte?«
Er schüttelte den Kopf. »Nach Hause? In die Sümpfe? Ich weiß es nicht. Warum sollte
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