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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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flachen Bachlaufs anstarrte.
    Nur abgestorbenes Laub, das am Grund verfaulte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als umzukehren. Er konnte ihr nicht mehr folgen, keinesfalls konnte er ihr Tempo mithalten, solange er auf seine Taschenlampe angewiesen war. Die Richtung, die sie eingeschlagen hatte, führte nach Nordosten, als würde sie von der Stadt angezogen.
    Solange sie in den Wäldern blieb, würde ihr keiner etwas antun. Sollte sie jedoch in den Straßen von New Iberia auftauchen, war nicht vorherzusehen, wozu in Panik geratene Anwohner fähig waren. Raymond zögerte.
    Er hatte zugelassen, dass sie sich in unmittelbare Gefahr begab, weil er sie nicht an Madames Bett gefesselt hatte. Seinetwegen war sie jetzt auf freiem Fuß. Es war seine Entscheidung gewesen. Einen Moment lang verharrte er am Bach, dann machte er sich auf den Rückweg.
    Madame Louiselle führte ihn, als er bei ihr eintraf, in die Küche, wo in der kühlen Nacht eine Schale dampfende Suppe auf ihn wartete. Sie stellte sich hinter ihn, strich ihm mit den Händen über die Schultern und murmelte ein Gebet.
    Als sie damit fertig war, setzte sie sich ihm gegenüber. »Es tut mir leid, Raymond. Ich hätte sie nicht allein gelassen, wenn ich gewusst hätte, dass sie wegläuft.«
    Er schob die Schale von sich. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sie überhaupt laufen kann.«
    »Du wolltest ihr Handschellen anlegen, und ich hab dich dazu gedrängt, es nicht zu tun.« Sie sah ihn an. »Bin ich an allem schuld?«
    »Nein, Madame. Sie war so krank. Wie hättest du es wissen sollen?«
    »Manchmal weiß man erst, was dabei herauskommt, wenn man es tut. Dann muss man sich darauf verlassen, dass es schon richtig sein wird.« Sie beugte sich vor. »Wie geht’s deinem Rücken?«
    Zu seiner Überraschung war der stechende Schmerz verschwunden. »Besser. Danke, Madame. Eine Frage: Als du Adele das letzte Mal gesehen hast, war sie da ruhiger geworden?«
    Madame nickte. »Sie kam zu sich, war ansprechbar und bat mich um Wasser. Sie schien das Fieber überwunden zu haben. Dann bin ich weggegangen, um ein paar Wurzeln zu sammeln, die ich für ihren Beruhigungstee brauchte. Ich dachte noch, sie wäre bereit für ein warmes Bad. Ich war nur etwa eine Stunde weg. Aber als ich zurückkam, war sie verschwunden. Ich hab mich auf den Weg in die Stadt gemacht, um dir Bescheid zu sagen.«
    Es hatte also kaum eine Stunde gedauert, um aus der nahezu willenlosen Kranken jemanden zu machen, der Reißaus nahm. Damit wiederholte sich ein Muster, das Raymonds dunkle Ahnungen zu bestätigen schien.
    »Madame, ist Adele von jemandem besucht worden?«
    Die alte Frau schien sofort zu verstehen. »Möglich, cher , aber ich hab niemanden gesehen. Ich war eine halbe Meile weit weg.«
    Raymond erhob sich. »Danke, Madame. Und keine Sorge. Wir werden sie finden.« Beim Hinausgehen drückte er ihr die Schulter.
    Vor dem Haus zückte er seine Taschenlampe und inspizierte den Boden. Er brauchte zehn Minuten, bis er fand, wonach er gesucht hatte. Reifenspuren führten zum Haus. Jemand hatte Adele aufgesucht, während Madame fort gewesen war. Um ihr den Trank einzuflößen, der bewirkte, dass sie wie eine Irre durch die Wälder lief.
    Er kniete sich hin und untersuchte die Spuren. Das Profil war deutlich zu erkennen. Mehr als deutlich. Gummi war seit Kriegsbeginn kaum noch erhältlich, die meisten mussten sich mit Reifen begnügen, die so abgefahren waren, dass sie kaum noch ein Profil aufwiesen. Langsam stand er auf. Sein Rücken machte ihm keine Beschwerden.
    Praytor Bless’ Wagen hatte gute Reifen. Irgendwie hatten er oder seine Mama es geschafft, sie irgendwo aufzutreiben. Es wäre einen Versuch wert, Praytor in naher Zukunft einen Besuch abzustatten.

13
     
     

     
     
     
     

     
    as Kinderlachen wurde vom Wind davongetragen, als Florence ihre Kristallkugel zusammenpackte und sich zur Haustür aufmachte. Halloween war vorbei. Sie hatte den kleinen Gören Abenteuer und Reichtum versprochen und Äpfel, Orangen und die raren Pfefferminz-Bonbons verteilt, die sie in Baton Rouge aufgetrieben hatte. Sie war erschöpft, und irgendwie machte die Nacht sie nervös. Sie wollte im Haus sein, hinter der verschlossenen Tür, und auf Raymonds Rückkehr warten. Heute Nacht brauchte sie den Trost seiner Umarmung, sie brauchte das Gefühl, dass in den dunklen Stunden des Mondes jemand da war, der sie beschützen würde.
    Sie berührte den Knauf der Fliegentür, als sie hinter sich etwas hörte.

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