Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
rausgefahren, um mit ihr zu reden, aber es war niemand da. Nur das kleine Mädchen, Sarah.« Sie schlug die Hände vor den Mund. »Ich hab sie hinter dem Haus singen hören. O mein Gott.« Sie wippte vor und zurück.
Chula hielt sie fest und bot ihr vom Brandy an. Jolene nippte, wieder streifte ihr Blick durch das Zimmer, bis er bei John hängen blieb. »Wer sind Sie?«, fragte sie.
»Ein Freund.« Sacht drehte Chula Jolenes Kopf wieder zu sich. »Sarah geht es gut?«
Jolene nickte. »Sie hat gesungen. Sie hat noch nie auch nur einen Laut von sich gegeben. Ich dachte schon, sie wäre stumm. Aber sie hat ein Schlaflied gesungen. Auf mein Klopfen kam keine Antwort. Die Tür war nicht abgesperrt, also bin ich rein. Ich hab mir doch so Sorgen um Sarah gemacht. Sie schien ganz allein zu sein. Marguerites Wagen war nicht da. Niemand war da, nur das dreijährige Kind.«
Hinter sich nahm Chula eine bedächtige Bewegung wahr. John ließ sich auf einem der Sessel nieder. Er verhielt sich völlig ruhig und zog keinerlei Aufmerksamkeit auf sich.
»Haben Sie denn Sarah gesehen?«, fragte Chula.
»Ich ging hinter das Haus, immer dem Gesang nach.« Tränen liefen ihr über die Wangen, wo sie sich mit den Dreckschlieren vermischten. »Es war so schön. Ich war wie gebannt. Fast wie bei einem Gemälde. Und dann hab ich sie gesehen.« Sie riss ihre grünen Augen auf. »Sarah saß bei einer Frau in einem Schaukelstuhl. Ich war so entsetzt. Das kleine Kind saß auf dem Schoß der Frau, es hat gesungen und mit den Haarsträhnen gespielt. Ich näherte mich den beiden von hinten und wunderte mich, wer diese Frau ist und wo Marguerite steckt.
Und dann, als Sarah mich sah, hörte sie mit dem Singen auf. Als hätte sie plötzlich ihre Stimme verloren. Sie starrte mich an, und dann drehte sich die Frau im Schaukelstuhl um. Ganz langsam. Sie drehte sich um und sah mich an.« Jolene hielt Chulas Hand umklammert, so fest, dass Chula glaubte, sie wolle sie ihr brechen.
»Wer war es?«, fragte Chula.
»Adele. Adele Hebert hat das Kind auf dem Schoß gehabt.«
Chula konnte es nicht glauben. »Sind Sie sich sicher?«
»Ganz sicher. Als sie mich sah, stellte sie ganz vorsichtig das Kind ab und stand auf. Ihre Kleider waren zerrissen. Sie war fast … nackt. Sie starrte mich an, und ich verlor die Nerven. Ich fing an zu schreien und lief weg. Im Salon stolperte ich über einen Läufer und fiel hin. Adele sprang über mich drüber und rannte zur Tür hinaus. Ich rappelte mich hoch und lief ihr hinterher. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, aber ich rannte ihr bis zu den Sümpfen hinterher. Ich hatte Angst, sie könnte mich verflucht haben, und ich wollte doch, dass sie den Fluch zurücknimmt.« Jolene weinte jetzt hemmungslos. »Ich will mich nicht bei Vollmond in einen Wolf verwandeln. Ich will nicht …«
Chula versuchte ihre Ungeduld zu zügeln. Sie setzte sich aufs Sofa und legte den Arm um Jolene. »Sie sind nicht verflucht. Ich schwöre es. Ihnen fehlt nichts.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Jolene.
»Der loup-garou hat bei Tageslicht keine Macht.« Sie sah zu John. Sie brachte die Legende mit ins Spiel, schmückte sie sogar noch mit einem albernen Detail aus, um Jolene zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass sie den Mund hielt, bis Raymond wieder auftauchte.
»Sie hat recht«, sagte John und kam zu ihnen herüber. »Ihnen kann überhaupt nichts passieren, Mrs. LaRoche. Der Werwolf hat bei Tageslicht keinerlei Macht.«
»Bestimmt nicht?«, fragte Jolene.
Chula nickte. »So bestimmt, dass ich Ihnen ein Bad einlasse und Ihnen ein paar saubere Sachen besorge. Entspannen Sie sich, nehmen Sie ein Bad, und bis dahin werde ich auch wieder zurück sein.«
»Sie wollen mich allein lassen?« Wieder klammerte sie sich an Chulas Handgelenk. »Bitte, lassen Sie mich nicht allein.«
Chula sah zu John. »Mein Freund wird hier im Salon sein, und Mutter muss jeden Augenblick kommen. John wird Vater Finley anrufen. Wenn Sie gebadet haben, wird Maizy Ihnen was Warmes zu essen bringen.«
»Wo wollen Sie hin?«, fragte Jolene.
»Zu Sarah Bastion«, sagte Chula. »Ich kann nicht glauben, dass ihre Mutter sie allein zu Hause gelassen hat. Wenn Marguerite nicht zurückkommt, läuft das Kind vielleicht in die Sümpfe und verirrt sich. Dann ist es verloren.«
»Sie ist schon verloren«, sagte Jolene. »Genau wie dieses andere kleine Mädchen.« Sie wrang die Hände im Schoß. »Sie sind keine Kinder mehr. Sie gehören dem loup-garou
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