Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
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19
agen reihten sich vor dem Sheriffbüro auf. Nachdenklich fuhr Raymond an ihnen vorbei. Joe Como war nicht dafür bekannt, dass er so spät noch arbeitete, trotzdem stand sein Wagen neben dem von Praytor Bless und einigen anderen, die er nicht kannte. Nur ein Unglücksfall zog die Leute in die Stadt, nur dafür würden sie ihre Benzinrationen opfern. Als er Pinkney draußen in der kühlen Nacht stehen sah, hielt er an und kurbelte die Scheibe herunter.
»Was ist hier los?«, fragte er.
»Mr. Thibodeaux, Sie stecken in argen Schwierigkeiten. Der Sheriff tobt und wütet schon den ganzen Abend, weil Sie sich aus dem Staub gemacht haben. Er hat in Lafayette angerufen, aber keiner hat Sie da gesehen. Praytor Bless« – er spitzte die Lippen – »erzählt, Sie wären mit Ihrer Hu… mit Miss Florence nach Baton Rouge gefahren.« Er nickte Florence zu.
»Hat man Peat Moss gefunden?«
»Nein, Sir. Vom Mädel keine Spur. Ist vom Sumpf verschluckt worden.« Pinkney tänzelte fast vor lauter Angst.
»Ist sonst was vorgefallen?«
»Mrs. LaRoche hat vorbeigeschaut und sich wegen irgendwas auf der Bastion-Plantage aufgeführt. Die Bastion-Jungs haben gestanden, Vater Michael mit der Vogelscheuche einen Streich gespielt zu haben. Er hat sie zum Sheriff gebracht. Das ist vorgefallen. Sheriff Joe und Praytor reden auf die Jungen ein, damit sie ihnen alles andere erzählen.«
»Alles andere?«
»Adele Hebert soll letzte Nacht durch die Stadt gerannt sein. Sagen sie. Sie soll den Mond angeheult und gesabbert haben und ihnen hinterher sein, sie hat sie fangen wollen.«
»Blödsinn«, entfuhr es Raymond. Er öffnete die Fahrertür. »Pinkney, würdest du Miss Delacroix nach Hause fahren?« Die Dinge, die er Florence noch unbedingt sagen wollte, würden warten müssen. Er griff sich seinen Umschlag mit den Papieren und stieg aus.
»Ich?« Pinkney schien verwirrt. »Der Sheriff lässt mich den Streifenwagen nicht fahren.«
»Schon okay. Fahr sie heim, und sorg dafür, dass sie sicher ins Haus kommt und die Türen zusperrt. Dann kommst du sofort zurück.«
»Okay.« Pinkney nickte. »Kann ich machen. Ich kann Miss Florence fahren.« Er ging um den Wagen herum und glitt hinters Steuer. »Bin sofort wieder da.«
Raymond trat vom Wagen zurück. Pinkney legte den Gang ein, das Fahrzeug machte einen Satz nach vorn, und Raymond glaubte ein leises Fluchen von Florence zu hören. Es wäre ihre erste Äußerung seit Baton Rouge gewesen. Er hatte keine Gelegenheit gefunden, ihr sein Bedauern auszusprechen. Sie hatte von ihm nichts hören wollen.
Die Probleme prasselten auf ihn nieder wie ein Augustregen, heftig und gnadenlos. Überall, wohin er sich wandte, entglitten ihm die Dinge zunehmend. Es gab keinen Augenblick in den letzten Tagen, an dem er nicht die Schrapnellsplitter in Hüfte und Rücken gespürt hatte. Meistens verdrängte er die Schmerzen, ignorierte das Scheuern des Metalls an seinen Knochen, das eines Tages zu seiner Lähmung führen könnte. Die lange Fahrt nach Baton Rouge hatte es nicht besser gemacht.
Doch bevor er das Sheriffbüro betrat, ging er zu Praytors Wagen. Das schwache Licht aus dem Büro reichte aus, um die Reifen zu überprüfen. Er strich mit der Hand über den Gummi, in der Erwartung, das entsprechende Profil zu den Abdrücken vor Madames Haus vorzufinden. Aber er wurde enttäuscht. Profil war zwar noch vorhanden, aber nicht viel. Und es passte nicht zu den von ihm gefundenen Abdrücken. Jemand anderes musste bei Madame gewesen sein.
Als er das Sheriffbüro betrat, holte Praytor gerade mit dem Arm aus und verpasste dem älteren Bastion-Jungen eine Ohrfeige.
»Hör gut zu, du kleiner Scheißer, du wirst uns jetzt gefälligst alles erzählen, was wir wissen wollen«, herrschte Praytor ihn an.
Bevor irgendjemand reagieren konnte, stürzte sich der Junge auf Praytor, wickelte sich wie ein Affe um sein rechtes Bein und schlug die Zähne in dessen Oberschenkel.
»Oh, verdammt!« Praytor versuchte den Jungen abzuschütteln. »Verdammte Scheiße!« Er wirbelte um die eigene Achse und ließ sein Bein mitsamt dem Jungen gegen den Tisch krachen. Aber der Junge klammerte sich nur umso fester an ihn und verbiss sich regelrecht in seinen Oberschenkel.
»Beiß ihn, Caleb!«, schrie der jüngere Bruder, der mittlerweile auf einen Stuhl gestiegen war. »Reiß ihm das Fleisch raus!«
Joe stand wie angewurzelt neben den Zellen. Mit vier Schritten war Raymond bei ihnen, packte
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