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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzubrüllen.
    Schwer hinkend erreichte er das Kreuz, an dem Daniel Blackfeather hing. »Helft mir!«, rief er den Sträflingen zu.
    Klirrend eilten sie an ihren Ketten heran und fingen Daniel auf, als Raymond ihn vom Kreuz schnitt. Dann gingen sie zum Zweiten am Kreuz, dem großen Blonden, und schnitten auch ihn los.
    »Holt Wasser«, sagte er.
    »Gibt es hier nicht.«
    »Legt Daniel und den anderen in den Wagen.« Schweiß strömte Raymond über die Stirn und den Rücken. Seine Beine fühlten sich an, als stünden sie in Flammen. »Wo sind die Schlüssel für die Fußeisen?«
    »Die hat Veedal.« Die Männer drehten sich alle gleichzeitig um und sahen zum Aufseher. Aus seinem Mund sickerte Blut, seine Arme zappelten seltsam.
    Raymond ging zu ihm hinüber und durchsuchte seine Taschen, bis er die Schlüssel hatte. Er befreite den ersten Sträfling. »Ich bring die Verletzten zu Doc Fletcher. Du machst alle von den Fesseln los. Ich will, dass ihr zu den Ställen geht, besorgt euch Wasser und Essen. Versucht nicht zu fliehen. Wenn ihr abhaut, wird man euch jagen und töten. Und jetzt ladet Veedal in meinen Wagen.«
    »Überlassen Sie ihn uns.« Ein kleiner Schwarzer trat vor. Narben zogen sich über sein Gesicht und seine Arme.
    Raymond schüttelte den Kopf und hob die Pistole auf, die Veedal fallengelassen hatte. »Ich bringe ihn mit den anderen zum Arzt.«
    »Das schaffen Sie nicht. Sie können ja kaum gehen.« Der Mann trat näher an Veedal heran. »Er sollte uns gehören.«
    Raymond zeigte auf drei andere Sträflinge. »Ich bring den Wagen hier rüber, und dann werden wir alle drei einladen. Falls Veedal unterwegs sterben sollte, wird es mir nicht leidtun. Aber ich lasse ihn nicht hier im Dreck krepieren.«
    »Sie wissen nicht, was er Blackfeather und Smith angetan hat.« Die Augen des kleinen Schwarzen funkelten.
    Raymond sah zu Veedal. Dessen Blick war vor Schmerzen getrübt, aber er war bei Bewusstsein. Und er hatte Angst. Verzweifelt klammerte er sich an Raymonds Stiefel.
    Veedal Lawrence hatte es verdient zu sterben. Er hatte keinerlei Gnade walten lassen mit den Männern, über die er die Aufsicht hatte. Würde er es eines Tages bereuen, wenn er ihn am Leben ließ? Sein Griff um Veedals Pistole verstärkte sich, gleichzeitig richtete er den Lauf auf dessen Stirn. Die Schmerzen sangen in seinem Rückgrat wie sirrende Hochspannungsdrähte, während er im tanzenden Schatten des Feuers stand.
    Die Sträflinge waren verstummt. Nur das Knacken des Scheiterhaufens und Veedals Röcheln waren zu hören.
    »Töten Sie ihn.« Ein Sträfling trat vor, seine Fußeisen klirrten. »Machen Sie schon!«
    Unwillkürlich krümmte sich Raymonds Finger am Abzug. Menschen zu töten, das war der Preis, den er zahlte. Er brachte den Tod. Das war sein Auftrag.
    »Los!« Der Sträfling kam näher. »Los!«
    Langsam ließ Raymond die Waffe sinken. »Nein, er soll seine Taten vor Gericht verantworten.«
    Er ging zum Wagen zurück und fuhr langsam zu den wartenden Männern. Sein Rücken tat höllisch weh, er fürchtete, seine Beine bald nicht mehr bewegen zu können. Aber er musste dafür sorgen, dass die Männer von einem Arzt versorgt wurden. Und er musste Adele finden.

20
     
     

     
     
     
     

     
    ater Michael stand am Fenster von Doc Fletchers Krankenzimmer und versuchte seine Gedanken in ruhigere Bahnen zu lenken. Vom Bett war das schwere Röcheln von Veedal Lawrence zu hören, der mit dem Tod rang. Aber dieses Geräusch löste bei ihm kein Mitgefühl aus, eher war ihm, als würde ihm etwas über die Haut raspeln; er fand es störend und beunruhigend. Er hatte ihm die letzten Sakramente gespendet, sah sich aber außerstande, dem Mann im Bett Trost zukommen zu lassen. Am liebsten wäre er hinausgegangen. So aber blieb ihm nichts anderes, als sich im Zimmer umzusehen und zu versuchen, aus dem geordneten Zustand seiner Umgebung Stärke zu gewinnen. Männer wie der Doc, Männer, wie es sie nur selten gab, hatten Ordnung und Kultiviertheit in die Sümpfe gebracht. Die Wildnis zu zähmen war möglich, aber inzwischen verstand er besser die Abscheu, die er vor seiner Gemeinde empfand und den primitiven Impulsen, die Land und Leute beherrschten. Und die Männer wie Veedal Lawrence hervorbrachten.
    Die Schrecken, die ihm all dies bereitete, wühlten ihn auf. Der Priester versuchte sich zu erinnern, was ihm der alte Arzt im Frühjahr, als sie im Schatten zusammengesessen hatten, über

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