Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
Mutter, darauf, dass sie das Frühstück allein mit Florence einnahm.
Sie schob das Blech in den Herd und richtete sich auf. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war so stark, dass sie ans Fenster trat und in die Nebelschwaden hinaussah. Natürlich wusste sie, dass Nebel aus dem Zusammenwirken der warmen Erde und der kühleren nächtlichen Luft entstand, trotzdem zitterte sie und rieb sich die Arme. Wissenschaftliche Fakten konnten nicht verhindern, dass ihr mulmig zumute wurde.
Während die Brötchen im Herd waren, ging sie ins Schlafzimmer, zog sich an und bürstete sich das Haar. Raymond hatte sie gekränkt, aber das Leben ging weiter. Sie musste sich wieder fangen. Sie hatte doch die ganze Zeit über gewusst, dass Raymond nichts taugte. Vor dem Krieg war er mit einer jungen Frau zusammen gewesen, einer schwarzäugigen Cajun-Schönheit aus der Nachbargemeinde. Florence war ihnen überall in der Stadt über den Weg gelaufen – im Drugstore beim Eisessen, im Kino, am Teche, sie hatte sie in Justin Lanoux’ großem Plymouth-Cabrio gesehen, in dem sie durch die Stadt gegondelt waren, gelacht und dabei aus Pappbechern pastellfarbenen Alkohol getrunken hatten.
Florence hatte sie bei ihrem Leben beobachtet, das ihr scheinbar immer verschlossen bleiben würde. Und wegen Raymonds Lächeln und wie er so schützend die Hand über den schlanken Rücken der jungen Frau hielt, hatte sie sich in ihn verliebt. Sein Blick war aufmerksam, zärtlich. Und die junge Frau hatte ihn angelacht und ihn mit den Fingern an den Lippen berührt. Florence hatte sie beobachtet und war nach Hause gegangen, um auf den nächsten Freier zu warten.
Als Raymond dann aus dem Krieg zurückkam, war er am Stock gegangen. Sie hatte es seltsam gefunden, dass er nicht mehr bei seiner Mutter leben wollte, sondern ein eigenes Haus am Stadtrand erwarb, ein hübsches altes Haus, das leerstand, nachdem die Gautreaux-Brüder gefallen waren. Einige Wochen später hatte Raymond den Stock weggelegt und sich das Deputy-Abzeichen an die Brust geheftet.
Der Krieg hatte ihm vieles geraubt. Zuerst sein Lächeln, dann die junge Frau. Gerüchten zufolge hatte sie seine düstere Stimmung, seine Launen nicht mehr ausgehalten und war angeblich nach New Orleans gezogen, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, er würde nie heiraten. Florence kümmerte es nicht, sie war nur froh, dass sie fort war.
Etwa einen Monat nach seiner Rückkehr klopfte er zum ersten Mal bei ihr an und fragte, ob sie frei wäre. Sie hatte die Fliegentür geöffnet und ihn reingelassen, ihr Herz hatte gepocht, und sie hatte sich lebendig gefühlt und zugleich wütend. Wütend, weil sie wusste, es würde der Tag kommen, an dem sie für ihre Liebe zu ihm würde büßen müssen.
Sie beugte sich zum Herd hinunter und holte das Blech mit den heißen Brötchen heraus. Als es an der Tür klopfte, war sie in Gedanken so sehr bei Raymond, dass sie, als sie die Tür öffnete, glatt erwartete, ihn im Nebel stehen zu sehen. Doch auf der Veranda stand Pinkney Stole, den Hut in beiden Händen, den Blick gesenkt.
»Ein Anruf für Sie, Miss Florence, im Sheriffbüro.«
»Für mich?« Sie erschrak. Ihre Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und sonst gab es niemanden, der mit ihr in Verbindung geblieben wäre. »Wer ist es?«
»Wollte das Mädel nicht sagen. Sie wollte erst Raymond sprechen, aber als ich ihr gesagt hab, dass er schwer verletzt ist und im Bett liegt, da hat sie …«
Florence musste sich am Türrahmen festhalten. »Raymond ist verletzt?«
»Ja, Ma’am. Kann vielleicht nie wieder gehen, hat Sheriff Joe gesagt. Er …«
»Wo ist Raymond?«
»Im Haus von Doc Fletcher, an ein Gestell mit Gewichten geschnallt. Sie wollen ihn langstrecken, damit sich die Splitter nicht ins Rückgrat bohren.«
Florence roch die Brötchen, ein Geruch, der für sie immer gleichbedeutend war mit dem Morgen und dem Anbruch eines neuen Tages, jetzt aber machte er ihr das Atmen schwer. »Was ist Raymond zugestoßen?«
Pinkney runzelte besorgt die Stirn. »Am besten kommen Sie mit ins Sheriffbüro, Miss Florence. Dieses Mädel, sie will noch mal anrufen. Es war ein Ferngespräch. Meint, es ist dringend und für Mr. Raymond.«
Den Anruf hatte Florence völlig vergessen. Sie eilte in die Küche und stellte den Herd aus. Auf dem Weg zur Tür griff sie sich ihre Handtasche und die Schlüssel. »Gehen wir«, sagte sie und packte Pinkney am Ellbogen.
»Sie wollen die heißen Brötchen einfach so liegen lassen?«
Noch einmal
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