Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
eilte sie in die Küche und zog eine Papiertüte unter der Spüle hervor, warf die Brötchen hinein und nahm noch ein Glas mit Traubengelee mit. »Butter hab ich keine«, sagte sie, während sie hinter sich die Tür zuknallte.
Sie setzte sich ans Steuer und legte den Gang ein, Pinkney konnte sich gerade noch auf dem Beifahrersitz niederlassen, als die Tür durch den sich in Bewegung setzenden Wagen zufiel. »Großer Gott, Miss Florence, wollen Sie mir die Beine wegreißen?«
»Erzähl mir von Raymond!«
»Ist gestern zur Bastion-Plantage raus und hat diesen Veedal Lawrence davon abgehalten, zwei Sträflinge umzubringen. Raymond hat Veedal überfahren. Der ist jetzt tot. Und Raymond ist in Docs Haus.«
Was immer Raymond auf der Plantage getan hatte, er hatte es wegen Adele Hebert getan. Aber solange er gesund war, waren ihr seine Beweggründe egal. »Der Doc sagt, Raymond wird nicht mehr gehen können?«
»Höchstwahrscheinlich. Das Metall in seinem Körper, das verschiebt sich und bewegt sich jeden Tag.«
Florence sah nichts von den geisterhaften Gebäuden, als sie den Stadtrand erreichte; sie sah nur Raymonds langen, schlanken Körper in ihrem Bett, die dunklen Härchen auf seinen Beinen. Ihre Hand, die seine Narbe entlangfuhr, beginnend vom Rücken, weiter zur flachen Vertiefung der Hinterbacke und dem Hüftknochen bis zum Oberschenkel. Auch nach einem Jahr war die Narbe noch gerötet und wies an den Stellen, an denen das Fleisch herausgerissen worden war, tiefe Einkerbungen auf.
»Pinkney, ich lass dich vor dem Büro raus und fahr dann weiter zu Doc Fletcher.« Scheiß drauf, was sich die Leute denken mochten. Raymond war verletzt.
»Nein, Ma’am. Sie müssen mit diesem Mädel reden. Sie war ziemlich aufgeregt, und sie sagt, sie muss mit Raymond oder mit Ihnen reden. Der Sheriff sagt, ich soll Sie ins Büro bringen. Wenn nicht, will er mich bei lebendigem Leib häuten.«
»Ich hab keine Zeit, um mit …« Bevor sie den Satz beenden konnte, wurde ihr bewusst, wer angerufen hatte. »Okay.« Sie hielt am Randstein vor dem Sheriffbüro. Überall waren Autos geparkt, Männer mit sorgenvollen, verhärmten Mienen standen in Gruppen zusammen. »Was ist hier los?«, fragte sie Pinkney.
»Irgend so ein Aufgebot. Sie wollen den loup-garou schnappen. Nur gut, dass Mr. Raymond ans Bett gefesselt ist, sonst würde er ihnen in den Arsch treten.«
Praytor Bless war zu sehen, der sich über irgendetwas ereiferte. Sein Gesicht war aufgedunsen, die Lippen waren geschwollen und blutverkrustet. Er hinkte. Als Florence an ihm vorbeiging, verstummte er. Sie beachtete ihn nicht. Kaum war sie im Sheriffbüro, als das Telefon klingelte.
»Sheriffbüro New Iberia«, meldete sich Joe. Er räusperte sich. »Ich übernehme die Gebühren.« Es folgte eine Pause. »Ist gerade reingekommen.« Er reichte Florence den Hörer.
»Hallo.« Sie presste sich den schwarzen Hörer ans Ohr, als könnte sie damit das Knistern in der Leitung unterdrücken, und vernahm Callies Stimme.
»Ich bin’s, Florence. Ich hab gefunden, was du und der Polizist gesucht habt. Ich hab alles ausgerichtet, und er meint, er muss mit diesem Deputy reden. Heute Nacht um zehn bei Mitch oben am Bayou Teche.«
»Das wird nicht gehen. Raymond ist verletzt.«
»Es muss gehen.«
Die Leitung war tot. Florence, die wusste, dass Joe und Pinkney sowie die beiden Bastion-Jungen in ihrer Zelle lauschten, hielt sich weiterhin den Hörer ans Ohr. »Ja, ich werde es ihm ausrichten«, sprach sie in den toten Hörer und legte auf.
»Was geht hier vor sich, Miss Florence?« Joe trat näher. »Etwas, was ich wissen sollte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Tut mir leid, dass Ihnen Unannehmlichkeiten entstanden sind. Es wird nicht mehr vorkommen.«
»Ich hab die Gebühren für diesen Anruf übernehmen müssen.« Verärgert kniff er den Mund zusammen. »Das Sheriffbüro ist nicht dazu da, um Ferngespräche zu führen. Die Frau hat gesagt, es wäre was Polizeiliches.«
»Da hat sie gelogen. Sagen Sie mir, wenn Sie die Rechnung bekommen, wie viel es ist, und ich zahl es Ihnen.« Sie nickte ihm zu. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sheriff. Ich muss wieder an meine Arbeit.«
Sie ging an allen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, stieg in ihren Wagen und steuerte nach Osten, in Richtung Bayou Teche und Raymond.
Die Nachmittagssonne fiel schräg durch die Rollläden und tauchte das Zimmer in ein warmes Licht. Raymond erwachte aus seinem Traum wie
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