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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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bleiben.«
    Raymond sah das Mitgefühl in ihrem Blick. Der Granattreffer hatte ihn zum Krüppel gemacht, es fehlte nicht viel, und er wäre im Rollstuhl gelandet. Diese Gefahr schwebte ständig über ihm, die Schmerzen in seinem Körper waren ihm eine stete Warnung vor dem Schicksal, das ihn vielleicht erwartete. Statt des Zorns, der sich bei diesem Gedanken gewöhnlich einstellte, verspürte er nur den Wunsch, aufzustehen. »Hilf mir hier raus.« Er deutete auf die Flaschenzüge und Gewichte.
    Chula schüttelte den Kopf. »Nein, Raymond. Wenn du nicht achtgibst, wirst du …«
    »Ich muss Adele finden.«
    »Ich kann zu Madame Louiselle fahren.« Sie winkte dem Mann, damit er ebenfalls ans Bett trat. »John wird mich begleiten.«
    Raymond musterte ihn. Es gab nur wenige, denen er traute, aber Chula hatte ein feines Gespür für Menschen und bewahrte einen kühlen Kopf. »Ich muss wissen, ob es Madame gut geht, und ich muss wissen, was es mit diesen Kräutern auf sich hat. Jemand hat Adele etwas gegeben, vielleicht hab ich es gefunden. Adele ist unschuldig, Chula, egal was die Leute sagen. Sie hat nichts Böses getan.«
    »Die Leute in der Stadt sind da anderer Ansicht. Joe hat mir erzählt, Praytor Bless hat mit ein paar anderen vor, heute Nacht eine Art Falle aufzubauen. Er will Blut sehen.«
    »Ich kann nicht hier liegen und alles einfach geschehen lassen.«
    »Warte, bis ich von Madame Louiselle zurück bin. Wenn du dann immer noch aufstehen willst, helfe ich dir.«
    Raymond nickte. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Er war aufgespießt wie ein Hähnchen am Grill. Wenn Chula ihm nicht half, würde es keiner tun. »Beeil dich«, sagte er. »Adele ist von Madame weggelaufen. Aber ich hoffe, dass sie wieder zurückkehrt. Beeil dich!«

21
     
     

     
     
     
     

     
    lorence schnitt das kostbare Schweineschmalz ins Mehl, gab Buttermilch zu und knetete in der Holzschüssel die Teigkugel durch – heftiger, als notwendig gewesen wäre. Ihre Gedanken kreisten um Raymond. Die ganze Nacht hatte sie erwartet, dass er vor ihrer Tür auftauchen würde, um sich für sein gedankenloses Benehmen zu entschuldigen, aber er hatte sich nicht blicken lassen. Wenn es noch Gerechtigkeit in der Welt gab, dann musste Adele ihn aufgefressen haben.
    Ihr war klar, dass Raymond sie nicht hatte verletzen wollen. Er war keiner, der Frauen absichtlich schlecht behandelte. Noch nicht einmal eine Hure. Sie knallte den Teig auf den Tisch und begann ihn auszurollen.
    Aber dass Raymond keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie sich dabei fühlen würde – das tat weh. Hätte er mit ihr darüber gesprochen, ihr eingestanden, dass er sie diesem Schmerz aussetzen musste, wäre es etwas anderes gewesen. Sie hätten zusammen nach Baton Rouge fahren können, um gemeinsam – als Partner – die gewünschten Informationen zu beschaffen. So aber hatte er ihr nur deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie in erster Linie als Hure und in zweiter Linie als Frau sah, aber nicht als seine Gefährtin.
    Tränen tropften in den Brötchenteig, den sie mit dem Nudelholz plattwalzte. Sie hatte seit zehn Jahren keine Brötchen mehr gebacken und das Frühstück üblicherweise im Café eingenommen. Raymonds Schmähung hatte sie in die Küche zurückgetrieben, zurück zu den Tätigkeiten ihrer Kindheit, in der die Abfolge alltäglicher Aufgaben ihrem Leben Ordnung verliehen hatte – ihrem Leben, das bestimmt war vom Chaos ihrer Mutter, die sich als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient hatte.
    Sie schniefte und wischte sich mit der Schulter über die Augen. Sie hatte den Teig so heftig geschlagen, dass die Brötchen hart und ungenießbar werden würden. Aber es ging ja auch gar nicht ums Essen, sondern ums Backen und den Trost, den die Küchenarbeit mit sich brachte.
    Vor ihrem Küchenfenster raschelte etwas. Sie sah auf, hinaus in das blinde Weiß des wabernden Nebels. Sie erschrak. Es war fast neun Uhr, und der Nebel hing über ihrem Haus, als hätte Gott beschlossen, sie vom Rest der Welt abzuschneiden.
    Ein gruseliger Gedanke. Sie klatschte die Hände zusammen, um das Mehl abzuschütteln. In der untersten Küchenschublade fand sie eine Form, mit der sie den Teig ausstach, dann legte sie die Brötchen auf dem Backblech aus. Es war ein kühler Morgen, der Herd verströmte eine angenehme Wärme, die sie an die Herbstmorgen erinnerte, an denen ihre Mutter gebacken hatte. Manchmal war ein besonderer Freier anwesend, meistens aber achtete Corrina, ihre

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