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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Befriedigung empfinde, weil ich ihn umgebracht habe. Ich wünschte mir nur, ich hätte es schon letzte Woche getan. Da ist mir klar geworden, was für ein Mensch er ist. Das ist der Fluch, der auf mir lastet, Florence. Ich bin geschaffen zum Töten, in diesem Fall aber bin ich zu spät gekommen. Ich hab’s getan, aber erst, als Unschuldige leiden mussten.«
    Florence wischte ihm mit einem feuchten Tuch über die Stirn. »Du solltest deine Gedanken und deine Kraft nicht aufs Töten verwenden, sondern darauf, wieder gesund zu werden.«
    »Haben sie Adele schon gefunden?«
    »Nein. Praytor Bless ist dabei, eine große Treibjagd zu organisieren. Adele ist angeblich in der Stadt gesichtet worden.« Sie seufzte. »Wenn es stimmt, was sich die Leute erzählen, muss Adele regelrecht von einem Ort zum nächsten fliegen. Sie treibt sich ziemlich rum.«
    »Zum Teufel, wenn sie sich in einen Wolf verwandeln kann, warum nicht auch in einen Vogel? Oder, verdammt noch mal, in eine Fledermaus? Vielleicht fliegt sie über die Gemeinde.« Er versuchte sich aufzurichten, wurde von den Gewichten aber daran gehindert. »Verdammt, schneid mich los.«
    Florence legte ihm die Hand auf die Brust. »Chula Baker ist gekommen. Madame Louiselle war bei ihr, sie hat dir einen Breiumschlag vorbereitet. Sie hat mir gesagt, wie er aufzutragen ist.«
    »Ich will keinen Breiumschlag, ich will aufstehen!« Der geringste Druck ihrer Hand heftete ihn am Bett fest. Seine Schwäche machte ihn wütend. Wenigstens hatte Chula Madame gefunden. Aber sie hätten ihn wecken sollen. »Kannst du Madame holen? Ich muss mit ihr reden.«
    »Warum setzt du alles aufs Spiel, nur um Adele zu retten?«
    Er sank aufs Kopfkissen zurück. Er war Florence eine Antwort schuldig. »Es geht nicht um das, was du dir denkst, Florence. Es ist nur …« Er wandte den Blick ab. »Sie hat alles verloren, was sie jemals geliebt hat – vielleicht ist sie darüber sogar verrückt geworden –, aber sie hat niemanden umgebracht. Wenn ich das alles nicht aufhalten kann, wird sie für ein Verbrechen getötet, das sie nicht begangen hat. Und nur, weil sie sich nicht verteidigen kann.«
    »Sie ist hilflos, geht es darum?«
    »Ja. Darum geht es.« Er war erleichtert. Florence verstand.
    Sie stand auf, ging ans Fenster und justierte die Holzlamellen so, dass der erste bernsteinfarbene Schimmer zu erkennen war, der auf die Sumpfzypressen am Teche fiel. Als sie sich zu ihm umdrehte, konnte er ihre Miene nicht deuten.
    »Sind nur die Schwachen es wert, dass sie beschützt und gerettet werden, Raymond?« Sie wartete kurz auf seine Antwort, dann ging sie zur Tür. »Ich hole uns Kaffee. Es wartet jemand auf dich, der mit dir reden möchte.«
    Bevor er etwas darauf erwidern konnte, war sie verschwunden.

22
     
     

     
     
     
     

     
    aymond musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um die Augen aufzuschlagen. Er starrte in die schwarzen Augen von Madame Louiselle. Sie sah zu der Breipackung, die auf dem Tisch neben dem Bett lag, und dann wieder zu ihm. Obwohl sie kein Wort sagte, war ihm klar, was sie damit zum Ausdruck brachte: »Du bist ein starrköpfiger Idiot, Raymond Thibodeaux, wenn du freiwillig leidest.«
    »Madame, was ist mit den Pflanzen, die ich dir geschickt habe?« Er hasste es, flach auf dem Rücken liegen zu müssen.
    »Alle harmlos. Gewöhnliche Küchenkräuter, ein paar, um die Nerven zu beruhigen, ein paar für die Heilmittel, die ich Adele beigebracht habe.« Sie hielt inne. »Bis auf eine«, fügte sie mit unbewegter Miene hinzu.
    Sie griff in die Tasche ihres Schurzes und zog einen kleinen violetten Stofffetzen heraus. »Die hier kenne ich nicht.«
    Raymond versuchte wieder, sich aufzusetzen, aber die Gewichte zogen ihn aufs Bett zurück. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er spürte, wie er rot wurde. Er wandte das Gesicht ab.
    »Rühr dich nicht.« Sie legte ihm ihre kühle Hand auf die Stirn.
    Am liebsten hätte er geflucht und gewütet, aber er ließ sich wieder aufs Kopfkissen fallen. Er war hilflos. Wovor er am meisten Angst gehabt hatte, war eingetreten.
    Madame wickelte den Stofffetzen auf und nahm ein Grasbüschel heraus. »Die kenne ich nicht«, sagte sie, wickelte es wieder ein und legte es ihm in die Hand. »Gibt es jemanden, der dir sagen kann, was es ist?«
    »Der Doc vielleicht …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab sie ihm gezeigt. Hab gehört, du wärst verletzt, also hab ich mich selbst darum gekümmert.«
    Ihre Worte gaben ihm einen Stich, aber er tat

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