Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
jemand, der sich aus der Tiefe langsam an die Wasseroberfläche kämpfte.
Alles in seinem Traum war in dunkelrote Gewalt gehüllt, ihm war, als würde er unter Aasbergen ersticken. Überrascht, dass es nicht Nacht war, blinzelte er gegen den goldenen Sonnenschein an, der ihm wie ein Segen erschien. Er wollte schlucken, doch sein Hals war trocken und wund, und er konnte die Beine nicht bewegen. Es fühlte sich an, als würde etwas Schweres auf der unteren Hälfte seines Körpers lasten und jede Bewegung unmöglich machen. Einen Augenblick lang glaubte er, erneut die letzten bewussten Momente zu durchleben, nachdem er von der Granate getroffen worden war.
Die heftige Druckwelle brandete gegen seinen Rücken, eine Kombination aus Lärm und Bewegung, die ihn verwirrte. Sein Körper war schwer getroffen, er war zu Boden geschleudert worden. Sofort wusste er, dass etwas nicht stimmte, ganz und gar nicht stimmte, aber er wollte nicht draufkommen. Seine Beine reagierten nicht auf seine Befehle, seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er öffnete die Augen, starrte auf den Boden und musste an Antoine denken, seinen kleinen Bruder. Den Menschen, den er am meisten auf der Welt liebte.
Er spürte die Tränen unter seinen Lidern, die sich durch die Krähenfüße ihren Weg bahnten. Wenn jemand hätte sterben sollen, dann er. Das war die Wahrheit, mit der er leben musste, der Grund, warum er sich von allen zurückzog. Er war ein guter Soldat gewesen. Das Adrenalin, die Gefahr – alles für eine Sache, die er als richtig empfand. Er hatte seine Pflicht getan, nach Antoines Tod sogar mehr als seine Pflicht. Die Probleme fingen an, wenn er zu schlafen versuchte. Dann sah er Antoine vor sich, einen verwundeten Geist, der ihn in der Nacht verfolgte, in seinem Blick die Angst vor dem Menschen, zu dem Raymond geworden war.
Jetzt, im Krankenzimmer, spürte Raymond die Sonne auf dem Gesicht. Er hielt die Augen geschlossen und wollte die Wirklichkeit noch ein wenig hinauszögern.
»Raymond?«
Das Flüstern der Frau war wie eine Berührung. Er kannte ihre Stimme, aber das konnte doch nicht sein. Er hatte sie durch seine Unbedachtheit verloren. Irgendwie musste er sich also wieder in einem Traum befinden. »Florence?«
Ihre kühlen Finger wischten ihm die Tränen von den Schläfen. »Ich bin hier.«
Widerstrebend schlug er die Augen auf und sah sie an, eine Frau von solcher Schönheit. Sie war in Sonnenlicht getaucht, fast, als käme der glühende Schein aus ihr selbst. »Bin ich tot?«
»Ich glaube nicht.« Sie lächelte. »Du bist zusammengeschnürt wie eine Sau auf dem Weg zum Schlachter. Aber der Doktor sagt, dass du nicht sterben wirst.«
Er wollte den Körper verlagern und spürte den Zug der Gewichte. Doc Fletcher versuchte seine Wirbelsäule zu strecken. Er erinnerte sich an das Gespräch, bevor er die Spritze bekommen hatte. Er hatte der Behandlung zugestimmt, auch wenn es nichts nützen würde. Er wusste es. Die Bewegung der Metallsplitter folgte ihrer eigenen Bestimmung. Sie steckten zu nah an der Wirbelsäule, um entfernt werden zu können, und obwohl der Doc sein Bestes gab, hatte Raymond sich damit abgefunden, dass niemand dieses Schicksal hinauszögern oder gar abwenden konnte. Bewegten sich die Splitter in die eine Richtung, würde er gelähmt sein. Wenn nicht, konnte er sich unter erträglichen Schmerzen fortbewegen.
»Bind mich los«, sagte er. »Ich muss aufstehen.«
»Da sprichst du mit der Falschen.« Sie setzte sich aufrechter hin. »Ich will nichts damit zu tun haben, wenn du dich zum Krüppel machst. Außerdem könnte ich diese Knoten sowieso nicht lösen, und wenn mein Leben davon abhängen sollte.«
»Hat man Peat Moss schon gefunden?«
Sie seufzte. Sie überlegte, was sie ihm alles offenbaren sollte. »Nein.«
»Daniel Blackfeather?«
»Die beiden Sträflinge werden überleben. Veedal Lawrence ist tot.«
Raymond bemühte sich, Gefühle in sich wachzurufen. Bedauern für das, was Blackfeather und Smith zu erleiden hatten, war alles, wozu er in der Lage war. »Ich hab im Krieg viele Männer getötet. Männer, die ich nicht gekannt habe. Ich hab sie getötet, weil sie sonst mich getötet hätten. Weil sie der Feind waren. Ich hab einen jungen Soldaten am Leben gelassen, weil ich dachte, ich müsste ihm einen Sanitäter schicken, und deshalb hat Antoine sterben müssen.«
Das Schlucken fiel ihm schwer. Florence gab ihm Wasser zu trinken.
»Veedal Lawrence ist der Erste, bei dem ich so etwas wie
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