Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
den Waldrand noch immer nach dem Falken ab.
»Sollen wir ein bisschen spazieren gehen?« Chula ließ Sarah zu Boden, stieg aus dem Wagen und streckte Sarah die Hand hin. Das Kind nahm sie, und gemeinsam schlenderten sie die Straße entlang. Es war ein warmer, perfekter Tag, und Chula spürte, wie die Bewegung sie belebte. Nach einigen hundert Metern, hinter einer Kurve, waren sie vom Wagen aus nicht mehr zu sehen.
»Deine Brüder sind in Sicherheit«, sagte Chula. Sarah reagierte darauf nicht. Ihre Familienmitglieder schienen sie völlig gleichgültig zu lassen. »Und wenn wir deine Mutter finden, dann kannst du auch wieder nach Hause.«
Plötzlich blieb Sarah mit schreckensstarrer Miene stehen und versteifte sich am ganzen Körper. Urin tropfte auf die Straße, lief ihr über die Beine und in die Schuhe. Chula sah vom Kind auf. Am Waldrand stand Clifton Hebert, an seiner Seite eine Hundemeute.
»Sarah, schon gut«, sagte Chula leise und rieb dem kleinen Mädchen sanft den Rücken. »Es ist alles gut.« Sie spürte Cliftons Blick auf sich. Sie hatte den Trapper nie gefürchtet, aber sie traute seinen Hunden nicht. Ihr gesprenkeltes Fell war von Kampfwunden überzogen, und das Funkeln in ihren Augen machte ihr klar, dass sie sie als Beute betrachteten.
»Sind Sie hier, um auch nach Adele zu suchen?«, rief Chula ihm zu.
»Adele, nein.« Clifton kam näher. Die Hunde setzten sich, ohne einen Befehl dazu bekommen zu haben. »Ich muss mit Bernadette reden.« Er sah sich um und vergewisserte sich, dass Chula und Sarah allein waren. »Wo sind die anderen?«
»Wir sind zu früh dran.« Chula musste sich erst wieder vor Augen führen, dass Clifton Hebert in regelmäßigen Abständen zu ihr nach Hause kam und Alkohol anlieferte. Er saß oft am Küchentisch und trank mit ihrer Mutter Kaffee, schüttete die heiße Flüssigkeit in die Untertasse, um sie abkühlen zu lassen, so wie man es früher gemacht hatte. Es war lächerlich, wenn sie jetzt Angst vor ihm hatte. Schlimmer noch, ihre Angst würde sich auf das Kind übertragen, das sich schon genug fürchtete. »Sarah, das ist Clifton.« Sie lächelte. »Er ist der beste Trapper in der ganzen Gemeinde. Vielleicht sogar in ganz Louisiana.«
»Das ist nicht Ihr bébé , nein?« Clifton runzelte die Stirn und versuchte das Kind mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was er über Chula und ihre Mutter wusste.
»Es ist Henris Tochter.« Chula zog Sarah zu sich heran. »Sie wohnt für eine Weile bei mir.«
Clifton musterte das Mädchen. »Das kleine schwarze Mädchen ist tot.«
Ob sie es wollte oder nicht, Chula spürte, wie ihr die Angst über den Rücken kroch. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Meine Hunde sind der Fährte gefolgt. Sie ist in die Wälder gelaufen. Die Hunde haben den Geruch aufgenommen, ja. Ich war sicher, dass ich sie finde. Aber dann hat die Fährte aufgehört.« Er zuckte mit den Achseln. »Einfach so. Als wäre sie in die Lüfte gehoben worden, als hätte ein Vogel sie sich geschnappt.«
Nicht besonders schöne Bilder gingen Chula durch den Kopf, gegen die sie sich zu wehren versuchte. »Könnte es sein, dass jemand sie hochgehoben hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Hunde haben mit der Nase am Boden alles abgesucht, haben an Bäumen und Sträuchern geschnuppert.« Eindringlich starrte er sie an. »Aber da ist nichts mehr. Nein, nein, sie ist geholt worden.«
»Vom loup-garou ?«, rutschte es Chula heraus.
»Von etwas, das anders ist als wir, cher . Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es ist in den Sümpfen.«
Sie verstärkte den Griff an Sarahs Schulter, dann blickte sie die Straße zurück und sah erleichtert, dass John in langen Schritten auf sie zukam. Sie winkte ihm zu. Als sie sich wieder zu Clifton umdrehte, waren er und seine Hunde verschwunden. Noch nicht einmal ein Blatt bewegte sich mehr.
Florence steckte das Küchenmesser in die Tasche der Schürze, die sie sich geliehen hatte, und nahm sich das von Myra Fletcher vorbereitete Tablett mit Kaffee, Zucker, richtiger Sahne und einem Teller mit Erdnussbutter-Keksen.
»Bringen Sie Raymond dazu, dass er etwas isst«, wies Myra sie an.
Wenn die Frau des Arztes überrascht war, dass die Hure der Stadt gekommen war, um für Raymond Thibodeaux die Krankenschwester zu spielen, dann brachte sie erhebliche Willensstärke auf, um sich nichts anmerken zu lassen, dachte sich Florence, als sie das Tablett anhob. »Raymond ist ein ziemlicher Sturschädel.«
Myra lachte. »Ich kann mich an ihn
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