Im Netz der Meister 2
Pärchen nichts mehr zu tun haben. Der Sturm war vorüber.
8
Simone ging irgendwann zur Tagesordnung über: Sie arbeitete in ihrem Laden, hielt sich nebenbei den ganzen Tag im HLF auf und suchte, weil sie seit Jahren daran gewöhnt war zu suchen, einen Mann, einen Dom, einen Herrn, einen Meister.
»Ich weiß gar nicht, was oder wen ich suche«, gestand sie Ute, »eigentlich bin ich ganz glücklich. Ich hab doch alles, was man sich wünschen kann.«
»Und uneigentlich?«, fragte Ute.
»Wenn ich das wüsste. Seit Geralds Geschichte mit Anna bin ich immer mehr davon überzeugt, dass es gar keine dominanten Männer gibt. Überleg mal, wie sie Gerald und ihren Leo durch ihre Elfen-Nummer manipuliert hat! Wer ist denn da dominant?« Sie lachte höhnisch auf. »Das heißt dann allerdings, dass ich nach einem Phantom suche.«
In schlaflosen Nächten hatte Simone darüber immer wieder nachgedacht, und ihre Erkenntnisse waren gar nicht so neu. Schon damals, als sie in ihrer Affäre mit Marius dominant gespielt hatte, war sie sich nicht sicher gewesen, ob seine Devotion, Demut und Unterwerfung nicht nur eine Masche waren, um sich durchzusetzen. Sie war ja selbst ein Beispiel für ihre Theorie, denn sie konnte sehr devot tun, wenn sie eine Session wollte. Aber: Warum wollte sie eine Session? Wegen der Schmerzen? Wahrscheinlich.
Lustschmerz ist supergeil, dachte sie, und wenn die Illusion vom Beherrschtwerden dazu kommt, fühlt er sich noch besser an.
»Was denkst du, Ute, gibt es wirklich submissive Menschen? Oder sind Unterwerfung und dieses ganze Trallala nur Mittel zum Zweck und eine Art subtiler Dominanz?«
»Ich glaube nicht, dass es so einfach ist«, sagte Ute. »Fassen wir doch mal zusammen: Man entdeckt, meist im Erwachsenenalter, mit BDSM plötzlich etwas ganz Neues. Du hast es mir selbst erzählt: Plötzlich warst du fasziniert von dieser neuen Welt, hast dich sexy gefühlt, dich verändert, bist wieder körperbewusster geworden und du hattest wieder einen Traum.«
Simone dachte sehnsüchtig an ihre ersten Begegnungen zurück und an die Faszination, die sie monatelang hypnotisiert hatte. Sie erinnerte sich an die Geheimnisse, die plötzlich den Alltag wieder so spannend sein ließen, an die Dinge, die ihr verboten und verrucht erschienen waren und an die ersten Kicks, die sie durch virtuellen Sex und Telefonate bekommen hatte. Seit einer Ewigkeit hatte sie nicht mehr so intensiv gefühlt und gelebt. Und dann kam BDSM.
»Ist es vielleicht so, dass im BDSM archaische Rollen gelebt werden können?«, überlegte Ute. »Es ist doch eine sehr traurige Entwicklung, dass Männer in unserer Gesellschaft ihre Identität als Alphatiere weitgehend verloren haben. Frauen suchen Leitwölfe, und Männer wollen welche sein. Aber sie können es nicht mehr. Seit Generationen haben sich Frauen auch zu Alphatieren entwickelt. Schon meine Oma, die meinen Vater im Krieg und in den Jahren danach allein erzogen hat, war eine sehr dominante Person, die sich durchsetzte.«
»Ob jemand ein Alphatier ist, hängt ja auch nicht von seinem Geschlecht ab. Es gibt Alphamännchen und Alphaweibchen. Das hat doch mehr mit Kompetenz, Willen und persönlicher Durchsetzungskraft zu tun. Das alles kommt ja oft erst zum Vorschein, wenn man bis über seine Grenzen gefordert wird, wie zum Beispiel in einer Notsituation. Im Krieg haben doch viele Frauen erst entdeckt, was sie alles konnten – weil sie es mussten. Und weil niemand da war, der ihnen sagte, dass Frauen zu dumm, zu schwach, zu klein seien, um ihr Leben allein zu meistern.«
»Seither hängt das Geschlechterbild ja auch total schief. Welche Vorstellungen haben denn heute die kleinen Mädchen und Jungen vom Erwachsensein, von Frauen und Männern? Mütter erziehen, arbeiten, führen den Haushalt, organisieren, pflegen soziale Kontakte, also kurzum: Frauen können das alles. Zeig mir einen allein erziehenden Vater, der arbeitet, den Haushalt in Ordnung hat, einen Freundeskreis pflegt und eine Beziehung führt. Aber die Frauen sind alles in einem: Respektsperson, Familienoberhaupt und oftmals auch die Ernährer. Frauen sind so stark, so dominierend geworden, aber in Wahrheit wollen sie das ja gar nicht sein. Auch die selbstbewussten Frauen suchen den Leitwolf, die starke Schulter, den Herrn und Meister, und im BDSM können sie ihre Rollen wieder finden. Da kann der Mann auch wieder die Macht über die Frau haben, die er im Alltag schon lange nicht mehr hat.«
»Erzähl das mal einer
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