Im Netz der Meister 2

drüben. Wer weiß, wo sie den wieder aufgerissen hat?«
    Tom wurde unterbrochen, weil eine junge Frau mit wilder Lockenfrisur ihn begrüßte. Er stand auf, küsste sie rituell auf die Wangen, redete ein paar Worte mit ihr und setzte sich wieder neben Simone.
    »Das war Kristin, kennst du Kristin?« Simone schüttelte den Kopf. »Pass auf: Im HLF heißt sie Krissie-Devot, achtundzwanzig und schwer maso. Die steht auf Gangbang, das ist ja nicht mein Ding. Wenn eine schon voll ist, noch mal nachlegen, nee ...«
    Er schüttelte sich. »Sie ist hübsch, aber sie trinkt. Jaja, nicht mal einen Wein oder so, nein sie trinkt richtig. Pass auf: Ich hab mal mit ihr gespielt, bei welcher Party war das denn, weiß ich gar nicht mehr, jedenfalls musste die plötzlich kotzen beim Spiel, alles vollgekotzt hat die Sau, auf meine teuren Stiefel und meine Lederhose. Konnt ich doch nicht wissen, dass die vorher so getankt hatte, hab ich der nicht angesehen.« Simone schwieg angesichts Toms Redeflut. Ob er immer so viel über andere erzählte?
    Ein Spruch ihrer Großmutter fiel ihr ein: Wer bei dir schlecht von anderen redet, redete auch bei anderen schlecht von dir!
    Ein Paar war angekommen, das offenbar bekannt war, die beiden wurden eifrig begrüßt und geküsst. »Oh, hoher Besuch«, sagte Tom.
    »Du kennst aber auch jeden, oder?« fragte Simone.
    »Na, die beiden kennt doch jeder! Pass auf: Das sind Sybille und Hartwig. Kennst du nicht? Nee? Na, wart‘s mal ab, die spielen bestimmt noch heute Abend.«
    »Hier, beim Stammtisch?« fragte Simone.
    Tom machte eine abwinkende Handbewegung. »Die spielen überall! Pass auf: Sogar beim CSD letztes Jahr haben die gespielt, auf offener Straße hat sie es mit dem Stock gekriegt. Bis sie geblutet hat, das hat nachher einen richtigen Aufstand in der Szene gegeben. Beim letzten Chattertreffen haben sie es auch gemacht, obwohl das streng verboten war. Die braucht es einfach. Pass auf: Du musst dir mal die Haut an ihren Oberschenkeln angucken, ganz vernarbt und ledrig. Die ist immer grün und blau, manchmal auch im Gesicht, er schlägt sie manchmal mit dem Rohrstock ins Gesicht, bis die Haut platzt, die will das so haben.« Simone musterte das Paar neugierig, die Frau hatte tatsächlich etliche Macken im Gesicht. Tom griff Simone am Oberarm und sagte: »Pass auf ...«
    Simone unterbrach ihn: »Du, ich muss mal aufs Klo, entschuldige mich bitte.«
    »Klaro«, sagte Tom, »wir reden gleich weiter!«
    Wir? , dachte Simone. Ich hab noch nicht viel gesagt.
    Beim Händewaschen traf sie Gabi aus Deutz. »Hallo Simone, du Arme, hast du Pass-auf an der Backe?«
    Simone lachte: »Ach herrje, ist der hier bekannt?«
    »Den kennt jeder hier, erzähl dem bloß nichts, wenn du nicht willst, dass alle Einzelheiten sofort die Runde machen! Pass-auf erzählt jedem alles.«
    Simone gab ihr Recht und ging nicht direkt zu Tom Pass-Auf zurück, sondern sie mischte sich unter die anderen Gäste und unterhielt sich. Tom vermisste sie offenbar gar nicht, denn er hatte eine junge Frau am Oberarm gepackt und redete pausenlos auf sie ein. Simone konnte an seinen Lippen sehen, dass er gerade »Pass auf!« sagte.

Praxis Dr. Armin Wenzel
    Chiffre W 23 09 62 / Behandlungsplan

    In einem dialektischen Prozess (nach Lineham) sollen mit Frau S. Fortschritte in Richtung der o.g. Ziele mit verhaltenstherapeutischen Standardmethoden erarbeitet werden. (Sokratischer Dialog, Entspannungsverfahren, RET nach Albert Ellis, kognitive Therapie nach Beck, kognitive Verhaltenstherapie nach M. Hautzinger, Problemlösetraining auf Grundlage des Selbstmanagementansatzes nach Kanfer)
    Zunächst sind die Stärkung von Änderungsmotivation und Vermittlung von Kompetenzen in der Angst- und Depressionsbewältigung, die Wiedergewinnung einer affektiven Stabilisierung im Alltagsleben und die Unterstützung bei der Aufgabe des selbstschädigenden Nikotinkonsums vorrangig. In einem weiteren Schritt wird dann ein individuelles bio-psycho-soziales Modell der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen erstellt. Denkgewohnheiten, eiserne Überlebensregeln, automatisierte Verhaltensweisen werden untersucht und auf ihre Funktionalität bei der Regelung der Gefühle und der aktuellen Lebenssituation hin untersucht. Schließlich werden Verhaltensalternativen entwickelt und erprobt. In diesem Behandlungsabschnitt werden fünfundzwanzig verhaltenstherapeutische Einzelsitzungen in einer Frequenz von zweimal wöchentlich beantragt.

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    Simone fühlte