Im Netz der Meister 2
die Thekenbestände der Weine und Spirituosen kontrollierten. Joe, der Koch, tat etwas, das er »mise en place« nannte, und Simone lachte, als er erklärte, dass es nichts weiter bedeutete, als alles für einen reibungslosen Arbeitsablauf zurechtzustellen und vorzubereiten. Auch Maurice war in der Küche. Er kochte fürs Personal. Das war Tradition im »Chez Maurice«: Bevor der Betrieb losging, wurde gemeinsam gegessen. Koch, Kellner, Spülhilfe, Springer und Chef saßen dann an Tisch eins, und besprachen beim Essen die Reservierungen, die Tageskarte und was sonst so anfiel. Simone fand das toll. Heute gab’s gefüllte Calamari mit Bärlauchrisotto, und es schmeckte vorzüglich. Um Viertel vor sieben sah Maurice auf die Uhr. Das war das Kommando aufzustehen, jeder nahm seinen Teller und brachte ihn in die Küche, alle tranken an der Bar einen Pastis, danach war Alkoholverbot bis zum Feierabend.
Es war so viel zu tun, dass Simone nach Mitternacht zum ersten Mal auf die Uhr sah. Sie lief im Restaurant von einem Tisch zum anderen, räumte Geschirr ab, leerte Aschenbecher, brachte Speisekarten, spülte Gläser, half in der Küche, holte Wein aus dem Keller, faltete Servietten, putzte Rechauds. Sie sah, was zu tun war, niemand musste es ihr sagen. Sie war nicht mal zum Rauchen gekommen, erst jetzt stand sie im »Office«, dem Vorraum mit der großen Durchreiche zur Küche, und hatte sich eine Zigarette angesteckt. Maurice wischte sich die Hände an dem Handtuch ab, das er wie eine Schürze umgebunden hatte. »Wir sind froh, dass du uns hilfst, Simone«, sagte er, und Joe rief von hinten: »Jau! Wir hatten fast hundert, das wäre ohne Springer nicht zu schaffen gewesen!«
»Fast hundert?«
»Essen«, erklärte Maurice.
Es war nach zwei, als der letzte Gast gegangen war. Maurice schloss die Tür hinter Tom und Holger ab, sie setzten sich an Tisch eins und Maurice holte zwei Gläser Rotwein. »Den haben wir uns verdient, das war ein super Umsatz heute. Jetzt wird abrechnet.« Er gab Simone hundertsechzig Euro: »Gestern und heute hattest du siebzehn Stunden, macht hundertsechsunddreißig plus Tipp.«
»Tipp?«
»Trinkgeld. Es kommt in einen Topf und wird jeden Abend verteilt. Gestern warst du zum Einarbeiten hier, da gibt’s nur Stundenlohn. Heute hast du es dir wirklich verdient.«
Simone war erschöpft, ihre Füße taten weh und sie hatte Rückenschmerzen, aber es war eine angenehme Erschöpfung. Sie hatte seit langer Zeit wieder richtig gearbeitet und sehr gut verdient. Sie freute sich. Wenn das in den nächsten drei Tagen so weiterginge, könnte sie den restlichen Monat finanziell endlich mal wieder entspannt verleben, vielleicht die Kinder ins Kino einladen oder mit ihnen essen gehen.
Und sie hatte den ganzen Abend kaum an Luka gedacht; selbst jetzt war sie zu träge, um das Handy aus der Jacke im Spind zu holen und zu gucken, ob sie eine SMS oder einen Anruf verpasst hatte.
Sie hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße auf einen Stuhl gelegt; sie genoss den guten Rotwein, den starken Rauch der filterlosen Zigarette, die Stille nach dem turbulenten Abend, die schöne Atmosphäre mit Maurice.
Sie plauderten. Maurice erzählte ein paar Anekdoten aus dem Restaurantalltag, lobte Simone noch einmal für ihren Einsatz und bot sich an, sie nach Hause zu fahren. »Ich muss nur erst mit Lulu und Bubi um den Block«, sagte er. Sie wollte gern zu Fuß gehen. Er holte die Hunde aus seiner Wohnung und brachte Simone bis vor ihre Haustür.
Unterwegs hakte sie sich bei ihm unter. Sie sah zu ihm auf. Sie reichte ihm nur bis zur Schulter. Er trug seine schwarzen Locken zum Zopf gebunden; an den Schläfen waren breite Strähnen grau. Simone sah, dass er ein Loch für einen Ohrring im Ohrläppchen hatte.
»Warum bist du eigentlich Single? Wegen der Arbeit?«
Er schüttelte den Kopf. »Das spielt eine Rolle, ja. Mit meinen Arbeitszeiten kommt keine Frau zurecht, die die Gastronomie nicht kennt. Es hat aber noch andere Gründe.«
»Wieso? Bist du schwul?« Maurice lachte und drückte ihren Kopf mit seiner großen Hand an seine Schulter. »Nein. Schwul ganz bestimmt nicht. Sagen wir mal, ich habe besondere Ansprüche, die nicht jede Frau erfüllt.«
»Wie meinst du das?«
»Kein Thema für heute Nacht, Simone. Vielleicht erklär ich es dir eines Tages mal.«
»Wieso? Sag doch, mir ist nichts Menschliches fremd!«
»Das glaube ich dir. Belassen wir’s für heute dabei, dass ich die Richtige in der letzten Zeit nicht
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