Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
bevor die Meute eintrifft.«
»Ich verbiete dir, den Tatort aufzusuchen, Lizzy.«
Lizzy schnaubte. »Du klingst ja wie Dad.«
»Warum tust du das?«
»Weil Jared Shayne den Fall bearbeitet. Er hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass der Entführer eine persönliche Nachricht an mich hinterlassen hat. Entweder ist der Spinnenmann wieder im Geschäft oder ich erfreue mich einfach nur großer Beliebtheit bei Serienmördern.«
Schweigen.
»Ich bin erwachsen, Schwesterherz.« Und dann fügte sie sarkastisch hinzu: »Ich habe regelmäßig in mein Tagebuch geschrieben. Ich kann damit umgehen.«
»Mach dich bloß nicht über mich lustig.«
Sie hatte ein Déjà-vu. Es kam ihr so vor, als befände Dad sich im Körper ihrer Schwester. »Okay, du hast ja recht«, lenkte Lizzy ein. »Es tut mir leid. Aber wenn der Spinnenmann wirklich wieder da ist und mir persönliche Mitteilungen hinterlässt, kann ich diese Leute doch unmöglich im Stich lassen, oder?«
»Das kleine Mädchen tut mir wirklich leid. Ein tragischer Fall. Aber du kannst dir und uns das nicht antun. Du hast in den letzten zehn Jahren gewaltige Fortschritte gemacht, Lizzy. Nur weil du damalsentkommen konntest, heißt das noch lange nicht, dass du der Gesellschaft und den Opfern auf Dauer etwas schuldest. Du hast deine Schuldigkeit getan, Lizzy. Du hast getan, was du konntest. Es ist vorbei.«
Aber ich habe es nicht geschafft, das stumme Mädchen zu retten
. Verdammt, dachte Lizzy, sie brauchte nur ein ungewohntes Geräusch zu hören, und schon tauchte das Gesicht des Mädchens vor ihrem geistigen Auge auf: die großen braunen Augen und dieser schreckliche, entstellte Schrei. Sie drückte die Augen fest zu und verdrängte die Bilder. »Cathy, hör zu. Ich kann damit umgehen. Es wird schon gut gehen.« Aber in Wirklichkeit glaubte Lizzy selbst nicht daran.
Wieder Schweigen, dieses Mal lang und ausgedehnt. Schließlich sagte Cathy: »Was ist mit Freitag?«
»Was soll damit sein?«
»Brittany freut sich darauf, dich zu sehen.«
»Ich würde es mir doch auf gar keinen Fall entgehen lassen, meine Lieblingsnichte von der Schule abzuholen und mit ihr den Abend zu verbringen.«
»Sie ist deine
einzige
Nichte.«
»Und meine liebste.« Lizzy warf einen Blick auf die Karte in ihrem Schoß und stellte fest, dass sie ihrem Ziel näher war, als sie gedacht hatte. Sie fuhr weiter und bog bei der nächsten Gelegenheit nach links ab. Sie sah das Haus am Ende einer Sackgasse. Bei all den blinkenden Blaulichtern konnte man es nicht verfehlen. Mehrere Streifenwagen standen in einer Reihe und riegelten die Zufahrt zum Haus ab. Außerdem parkten drei Zivilfahrzeuge der Polizei auf dem Gehsteig und nahmen einen Großteil seiner Fläche ein. Lizzy hielt am Straßenrand und stellte den Motor ab. »Ich muss jetzt Schluss machen, Cathy. Ich melde mich wieder bei dir.«
Sie klappte das Mobiltelefon zu und steckte es in den Rucksack. Draußen hing dichter Nebel über dem Gehsteig. Nachbarn zogen die Vorhänge beiseite und beobachteten sie, als sie vorbeiging. Sie hielt auf das Haus der Madisons zu und ertappte sich bei der Vorstellung, dass der Kidnapper denselben Weg gegangen war.
Die Äste der Bäume raschelten im Wind und Lizzys Nackenhaare sträubten sich.
Hier und da gab es vereinzelte Büsche, aber weder einen Zaun um das Grundstück noch hohe Hecken, die ihm als Versteck dienen konnten. Warum hatte er sich dann für diese Gegend entschieden? Auf einem Hügel und mit nur einer Fluchtroute? Hatte er ein Auto? Einen Gehilfen? Sie hatte genügend Fälle von Anfang bis Ende verfolgt, um zu wissen, dass der Kidnapper wahrscheinlich zwischen Anfang zwanzig und Anfang dreißig war, es sei denn, es war der Spinnenmann. Der würde mittlerweile auf die vierzig zugehen.
Falls es sich bei dem Entführer des Mädchens wirklich um einen Serienmörder handelte, so müsste er laut Statistik unverheiratet sein. Die meisten Serienmörder waren der Gesellschaft entfremdet, sie lebten einsam und zurückgezogen. Aber es gab natürlich immer die berühmten Ausnahmen von der Regel. Eins war jedoch sicher: Wenn der Täter ein Haus auf einem Hügel ausgewählt hatte, wo es kaum Bäume gab, hinter denen er sich verstecken konnte, dann musste er das Haus und das Wohnviertel über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet haben. Wahrscheinlich hatte er so viel Zeit hier verbracht, dass er sich ziemlich sicher fühlte und davon überzeugt war, alles unter Kontrolle zu haben, als er
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