Im Netz des Teufels
warum. Er hatte lange und hart dafür gekämpft, ihn zu bekommen.
Die Frage war: Konnte er Falynn dazu bewegen, mit ihm zu sprechen? Würde es ihm innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden gelingen, ihre Erinnerung an alles zu wecken, während der Geist von Colin Harris über ihnen schwebte?
Auch wenn wir sterben, sind wir nicht tot.
Kaffee. Er brauchte Kaffee. Es würde eine lange Nacht werden.
Auf dem Weg in die Küche blieb er an der Treppe stehen und warf einen Blick auf die angelehnte Tür des Kinderzimmers.
Ta tuleb, dachte er.
Das war Estnisch und bedeutete: Er kommt.
Als Michael Roman die Küche betrat und den französischen Kaffeebereiter aus dem Schrank nahm, ging ihm eine Frage nicht mehr aus dem Kopf.
Wer kommt?
4. Kapitel
TALLINN, ESTLAND
Aleksander Savisaar stand in der Mitte des belebten Platzes. Es war ein ungewöhnlich milder Abend für diese Jahreszeit. Die Lilien blühten, und die Viru-Tänav-Straße war ein Fest für die Sinne.
Nachdem er durch ein paar Straßen geschlendert war, setzte er sich in ein Straßencafé und bestellte einen Tee. Aleks schaute den Mädchen in ihren Frühlingskleidern hinterher, die alle prächtigen Blumen glichen. Er war in seinem Leben schon in vielen großen Städten gewesen und kannte Kabul, Moskau und sogar Schanghai. Seine Geschäfte hatten ihn häufig nach Helsinki, Riga und Sankt Petersburg und in noch fernere Städte geführt, doch wirklich glücklich war er in keiner Stadt. Ein paar Tage lang ertrug er das hektische Treiben. Vielleicht eine Woche. Wenn bei dem Aufenthalt alles gut klappte, blühte er mitunter sogar auf. Doch er fühlte sich in keiner Stadt richtig wohl, und das würde auch nie so sein. Sein Zuhause waren die Wälder, die Berge und die Täler.
Tallinn lag an der Nordküste Estlands am Finnischen Meerbusen. Die Hauptstadt des Landes war eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte der Welt. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 hatte sie sich mit ihrem weltberühmten Symphonieorchester, dem florierenden Tourismus und der ebenfalls aufblühenden Modebranche zu einer Metropole des Baltikums entwickelt.
Aleks war über die E20 nach Narwa in Zentralestland gefahren, vorbei an den verrosteten Relikten der sowjetischen Besatzung, den verfallenen Häusern, den gescheiterten Kolchosen, den verrosteten Autos und Landmaschinen, den Schlackebergen und stillstehenden Förderanlagen.
Von Narwa nach Tallinn hatte er einen Shuttle-Flug genommen und deshalb viele Dinge zurücklassen müssen. Heutzutage waren die Sicherheitsvorkehrungen selbst an kleinen Flughäfen und bei kleinen Airlines äußerst streng.
Das war aber kein Problem. Aleksander hatte in ganz Estland gute Verbindungen. Er musste eine wichtige Angelegenheit regeln, die seit vier Jahren in seinem Herzen brannte.
Das Schlössle war ein kleines, elegantes Luxushotel mitten in der Altstadt. Aleks checkte dort ein. Er duschte, rasierte sich, zog einen dunklen Anzug und ein gestärktes weißes Hemd an, aber keine Krawatte.
Er hatte noch drei Stunden Zeit, ehe er Paulu treffen würde. Vorher musste er noch etwas kaufen.
Das Geschäft mit der alten Steinfassade lag in der Müürivahe-Straße. In dem kleinen, elegant gestalteten Schaufenster war nur ein einziges Gedeck aus Sterlingsilber ausgestellt, das von einem Spot angestrahlt wurde. In der unteren linken Ecke lag ein handgemaltes Schild mit goldenen Lettern:
VILLEROY TERARIISTAD
Rechts neben der dicken Eichentür hing ein Schild aus gebürstetem Edelstahl mit einem kleinen Knopf. Aleks klingelte. Kurz darauf hörte er den Türöffner und trat ein.
Der Verkaufsraum war lang, schmal und ruhig. Auf beiden Seiten befanden sich beleuchtete Glasvitrinen, und ganz hinten stand die Theke auf einem Podest. Es roch nach poliertem Holz, Glasreiniger und ein wenig unangenehm nach Schleiföl. Während Aleks den Laden durchquerte, betrachtete er das Angebot. Messer aus der ganzen Welt und in den unterschiedlichsten Ausführungen wurden hier präsentiert – Jagdmesser, Stockmann-Messer, indische Kukri-Messer. Die Artikel in den Vitrinen rechter Hand waren ausgefallener. Hier fand man Stiefelmesser, Tauchermesser, Tantomesser, Wurfmesser und das protzige, aber tödliche Butterfly. Ein kleiner Bereich war sogar für Nackenmesser reserviert, die in einer Scheide am Nacken getragen wurden.
An den Wänden standen Regale mit glänzenden Scheren, Küchenmessern, gewöhnlichen Rasiermessern und anderem Barbierzubehör.
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