Im Netz des Teufels
erste Hälfte von Abbys Treuhandvermögen fällig, und beim Abendessen an jenem Abend präsentierte sie Michael den Kaufvertrag für das Haus. Abbys Eltern waren anfangs nicht begeistert, dass ihre Tochter Michael heiratete. Als sie dann hörten, dass Abby den größten Teil des Schecks über 750 000 Dollar – einen zweiten würde sie zu ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag bekommen – dazu verwendete, ein hässliches Haus in einem ums Überleben kämpfenden Viertel von Astoria zu kaufen, traf sie beinahe der Schlag.
Michael hatte keine Ahnung, wann und ob sie überhaupt jemals etwas mit der Immobilie anfangen würden. Im ersten Augenblick wusste er gar nicht, was er sagen sollte. Mit der Zeit erkannte er, dass er seinen Eltern dadurch irgendwie näher war, und dafür konnte er seiner Frau nicht genug danken. Das war das Schönste, was jemals jemand für ihn getan hatte.
Bis zu diesem Tag hatte er das Haus nie wieder betreten.
Tommy wartete vor Angelo’s auf ihn. Er hatte seine typische Anwaltsmiene aufgesetzt. »Hallo«, sagte er. »Hallo.«
»Diese Scheißstadt.«
»Diese Scheißstadt.«
Tommy erzählte ihm, was er über den Fall wusste, doch das war nicht viel. Um vier Uhr morgens war die Polizei über den Notruf verständigt worden.
Alle Notrufe für die gesamte Stadt New York gingen bei einer zentralen Stelle in Manhattan ein. Sobald feststand, wo genau der Notruf erfolgt war, wurde er an den zuständigen Polizeibezirk und das Revier vor Ort weitergeleitet. In Astoria war es das 114. Revier.
Der Detective, der als Nächster »dran« war, übernahm den Fall. Es lief traditionell so, dass die Detectives der Reihe nach die neuen Fälle übernahmen. Michael war nie ein Freund dieses Systems gewesen, das bei der New Yorker Polizei tief verwurzelt war. Mitunter führte es nämlich dazu, dass die schwierigsten Fälle einem Detective mit der geringsten Vorstellungskraft und Initiative zugewiesen wurden. Bei den Detectives gab es drei Dienstgrade. Die Beförderung folgte einer anderen Tradition und hing davon ab, wie lange man einen Dienstgrad bereits hatte, von den Dienstjahren, von der Personalpolitik, von der Leistung und den freien Stellen. Ungerechtigkeit war leider allzu oft die Folge.
Als Michael die große, beeindruckende Gestalt vor der Eingangstür stehen sah, die zu der Anwaltskanzlei führte, war das einerseits gut und andererseits schlecht. Die Tatsache, dass Desiree Powell – eine der besten Detectives des NYPD – die Ermittlungen im Fall des mysteriösen Todes von Viktor Harkov leitete, war gut für die Angehörigen, die Freunde und Bekannten des Verstorbenen, zu denen Michael Roman sicherlich gezählt werden konnte. Schlecht war es hingegen für alle, die etwas zu verbergen hatten, für alle, die auch nur im Entferntesten illegale Transaktionen mit dem Anwalt abgewickelt hatten, und zu diesem Kreis konnte Michael Roman ebenfalls gerechnet werden. Desiree Powell würde alles herausfinden, was es herauszufinden gab. Vorher würde sie keine Ruhe geben.
Am Tatort tummelten sich Streifenbeamten, Detectives in Anzügen, Kriminaltechniker und Vorgesetzte. Es war nicht etwa so, dass Viktor Harkov ein berühmter Mann gewesen war oder dass dieser Fall länger als einen Tag Schlagzeilen machen würde. Harkov kannte aber viele Leute auf beiden Seiten des Gesetzes. Und wenn ein Rechtsanwalt getötet wurde, schlug das hohe Wellen. Das New York Police Department wollte den potentiellen Täterkreis so schnell wie möglich eingrenzen.
Als Michael und Tommy die Straße überquerten und auf das Haus zugingen, in dem Viktor Harkovs Kanzlei untergebracht war, hob Powell den Blick von einem Bericht, in dem sie gerade gelesen hatte. Sie nickte Michael kurz zu. Michael winkte. Er wusste, dass er in den nächsten Minuten mit Powell sprechen würde. Alles, was er sagte, würde später im Polizeibericht stehen und von diesem Sog erfasst werden, der diesen Ort umgab, den das Böse heimgesucht und wo es wieder einmal seine unauslöschlichen Spuren hinterlassen hatte.
16. Kapitel
Desiree Powell war eine beeindruckende, freundliche Frau und eine legendäre Gesellschaftstänzerin, die viel Wert auf ihre Kleidung und Sprache legte. Sie war jamaikanischer Abstammung, geboren und aufgewachsen in einem kleinen Dorf in den Blue Mountains nördlich von Kingston.
Mittlerweile war Powell seit vierundzwanzig Jahren Polizistin. In den ersten sieben Jahren ging sie in den Straßen des 103. Reviers in Uniform Streife. Sie
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