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Im Netz des Teufels

Im Netz des Teufels

Titel: Im Netz des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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gefallen war. Sein Arm war gebrochen und lag unnatürlich verdreht unter seinem Kopf. Obwohl Abby damals erst fünf Jahre alt war, wusste sie, dass etwas Schlimmes passiert war. Doch der Anblick des Armes, der etwas tat, was er gar nicht konnte, lähmte sie. Wallace sah aus wie eine kaputte Puppe.
    Genauso fühlte sie sich jetzt auch. Der Gedanke an das, was hier vor sich ging, ließ sie erstarren. Dann fiel ihr wieder ein, dass dieser Mann, der nicht in dieses Haus und nicht in ihr Leben und nicht in ihre Welt gehörte, ihr eine Frage gestellt hatte.
    »Was?«, fragte sie, als sie in die Gegenwart zurückkehrte.
    »Würden Sie sich bitte beruhigen?«
    Beruhigen. Ja. Sie erinnerte sich, dass sie Wallace, diesem dicken, doofen, unbeholfenen Wallace, geholfen hatte, nach Hause zu gehen. Ihre Mutter rief dann einen Rettungswagen. Abby hatte die Sache in die Hand genommen. Das würde sie auch jetzt tun.
    »Ja.«
    Der Mann lächelte. »Gut. Zweitens möchte ich, dass Sie in den Garten gehen und den Mädchen sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Sagen Sie ihnen, dass Kolya und ich – Kolya ist der junge Mann – Freunde der Familie sind und dass die Mädchen keine Angst vor uns zu haben brauchen. Würden Sie das tun?«
    Abby nickte.
    Aleks schaute aus dem Fenster und nickte dem Mann im Garten zu. Dann wandte er sich wieder Abby zu. »Auch Sie haben nichts zu befürchten, Abigail.«
    Der Klang ihres Namens versetzte ihr einen Stich ins Herz. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
    »Ich weiß viele Dinge«, sagte er und reichte ihr die Rose. Abby sah, dass ein einziger Tautropfen auf einem der Blütenblätter schimmerte und dass ein Dorn abgebrochen war.
    Seltsam , dachte sie. Was für Dinge einem auffallen.
    »Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen.« Als Abby die Blume nicht nahm, legte er sie auf den Esszimmertisch und trat dann in den Schatten der Diele zurück. Als er sich umdrehte, sprang der Mantel auf. An seinem Gürtel hing ein langes Messer in einer Lederscheide.
    So etwas hatte Abby immer befürchtet, und jetzt passierte es tatsächlich. Genau in dieser Minute.
    »Wenn Sie alles tun, was ich sage«, fügte der Mann hinzu, der sich Aleksander Savisaar nannte, »wird Anna und Marya nichts geschehen.«

15. Kapitel

    Die Anwaltskanzlei lag im ersten Stock eines verrußten Hauses in der Einunddreißigsten Straße, in der Nähe der Newtown Avenue. Auf einer Seite war ein russischer Supermarkt und auf der anderen das Büro eines Kautionsmaklers, das rund um die Uhr geöffnet hatte.
    An diesem Tag war unten auf dem Bürgersteig um zwei Parkscheinautomaten gelbes Flatterband gespannt. Der Bürgersteig war gesperrt, und das gefiel den Fußgängern auf der Einunddreißigsten Straße gar nicht. Flüche in den unterschiedlichsten Sprachen wurden laut, und vom Markt wehte der verlockende Duft von Borschtsch herüber.
    Michael war zur Station Ardsley-on-Hudson in Irvington gefahren und hatte dort den Zug der Metro North genommen. In der Grand Central Station stieg er aus, nahm die Linie 5 Richtung Norden bis zur Station Lexington/Neunundfünfzigste Straße und stieg dort in die Linie R nach Astoria um. Für New Yorker bestand das Leben aus einer Reihe von Zahlen und Buchstaben – die Buchstabensuppe des U-Bahn-Fahrens. Man hätte meinen können, die New Yorker verbrachten die Hälfte ihrer Zeit damit, über die besten Verbindungen und deren Alternativen zu ihren Zielorten zu diskutieren. Die andere Hälfte saßen sie in irgendwelchen Zügen und ärgerten sich, dass sie keine andere Verbindung genommen hatten. Heute legte Michael die Fahrt wie in Trance zurück. Beinahe hätte er seine Haltestelle verpasst.
    Als er den Ditmars Boulevard entlangging, hatte er das Gefühl, die Gebäude, die Menschen und der Bürgersteig hätten sich aufgelöst und wären durch ein einziges Bild ersetzt worden:
    Sein Vater reichte der alten Mrs Hartstein lächelnd einen Laib Brot. Die Dame war schon damals uralt – ihr Rouge eine brennende Sonne auf der papierweißen Haut.
    Geister der Vergangenheit , dachte Michael Roman. Er schaute nicht auf das Haus Nummer 64.
    In den Jahren nach der Ermordung seiner Eltern standen die Bäckerei und die Wohnung darüber leer. Ein paar Pächter mieteten das Ladenlokal, doch als sie erfuhren, was für ein Drama sich auf dem Ditmars Boulevard 64 abgespielt hatte, gaben sie schnell auf. Die Wohnung im ersten Stock wurde nie wieder vermietet.
    An ihrem ersten Hochzeitstag vor vier Jahren wurde die

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