Im Netz des Teufels
Radio und Fernsehen, zu informieren. Nachdem Gregg den Geschworenen alle Anweisungen erteilt hatte, wandte er sich Michael zu.
»Okay«, sagte Gregg. »Mr Roman, Sie haben das Wort.«
»Danke, Euer Ehren.« Michael stand auf, durchquerte den Gerichtssaal und blieb vor den Geschworenen stehen. »Guten Tag, meine Damen und Herren.«
Alle zwölf Geschworenen und die vier Ersatzleute murmelten eine Antwort.
»Ich freue mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen«, fügte Michael hinzu. Er nahm sich Zeit und ließ den Blick über die Frauen und Männer vor ihm gleiten. Dies war einer der wichtigsten Augenblicke in einem Prozess, vor allem in einem Mordprozess. Michael verglich ihn oft mit dem ersten Bild eines Films. Der erste Eindruck war hier wie auch dort entscheidend. Einen schwachen Auftakt konnte man in der Regel durch nichts mehr wettmachen. »In diesem Prozess geht es um zwei Männer. Patrick Sean Ghegan und Colin Francis Harris. Genauer gesagt geht es um das, was Patrick Ghegan Colin Harris am 24. April 2007 angetan hat.«
Michael führte den Geschworenen die Details des Verbrechens noch einmal vor Augen, bis er zu dem Augenblick kam, als Patrick Ghegan die Waffe zog – einen großkalibrigen Colt –, sie auf Colin Harris’ Kopf richtete und abdrückte.
Als Michael mit der Zusammenfassung begann, ging er auf das Flipchart links vom Zeugenstand zu. Auf dem Flipchart hing ein vergrößertes Foto von Colin und Falynn Harris, ein Bild, das ein paar Monate vor dem Mord aufgenommen worden war.
Als er das große Bild auf der Schautafel umdrehte, spürte er, dass sich die Atmosphäre im Raum hinter ihm veränderte. Es war nur ein Gefühl und nichts, was er hätte benennen können.
»Fick dich!«, brüllte jemand.
Michael wirbelte herum. Alle Anwesenden starrten auf den Störenfried. Es war ein junger Mann mit hochrotem Kopf, der von einem Gerichtsbeamten gebändigt wurde. Michael wusste, dass es Patrick Ghegans jüngerer Bruder Liam war.
»Schmort in der Hölle, ihr verdammten Wichser!«, schrie Liam. »Ihr alle!«
Als die Geschworenen und die Zuschauer von ihren Plätzen aufsprangen, stürzten sich zwei weitere Beamte auf Liam, warfen ihn zu Boden und legten ihm Handschellen an. An der Tür drehte er sich um und schrie: »Und diese Schlampe? Diese kleine Schlampe? Sie ist mausetot .«
Diese kleine Schlampe , dachte Michael. Er sprach über Falynn Harris. Michael schaute sich im Gerichtssaal um und musterte die Geschworenen. Sie waren ausnahmslos alle erschüttert. Sicher, sie waren alle New Yorker und an derartige Vorkommnisse gewöhnt. Doch in der Welt nach dem 11. September waren die Nerven immer angespannt, vor allem in öffentlichen Gebäuden. Michael fragte sich, ob es ihm gelingen würde, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Fall zu lenken.
In Filmen hätte der Richter jetzt mit dem Hammer auf den Tisch geschlagen und Ruhe im Gerichtssaal gefordert. Das hier war aber kein Film, und Martin Gregg war kein Schauspieler.
»Ich hoffe, Sie haben sich alle wieder gefasst«, sagte Gregg.
Allmählich erholten sich alle von dem Schock, nahmen wieder Platz und tuschelten nervös mit ihren Nachbarn. Ein oder zwei Minuten später hätte man meinen können, es wäre nichts geschehen. Dieser Eindruck war aber falsch.
»Angesichts dieser kleinen außerplanmäßigen Broadway-Vorstellung«, fuhr Richter Gregg fort, »unterbrechen wir die Verhandlung für eine Stunde.«
Gut , dachte Michael. Eine Pause war genau das, was er brauchte. Vielleicht konnte er die Aufmerksamkeit der Geschworenen anschließend wieder auf seine Ausführungen richten. Vielleicht gelang es ihm auch, Falynn aufzuspüren.
Es war kurz vor drei, als Michael in sein Büro zurückkehrte. Normalerweise wurden Verhandlungen gegen halb fünf auf den nächsten Morgen vertagt, und Michael hoffte, dass er das Eröffnungsplädoyer heute noch beenden konnte. Wenn Liam Ghegan vorgehabt hatte, den Prozess zu stören und, vor allem, die Geschworenen aus dem Konzept zu bringen, dann war ihm das gelungen. Es würde nicht einfach sein, die Aufmerksamkeit der Geschworenen wieder auf den Fall zu lenken.
Michael machte sich neue Notizen für das Plädoyer, als jemand sein Büro betrat. Es war Tommy.
»Hast du gehört, was passiert ist?«, fragte Michael ihn.
»Ja, ich hab’s gehört. Vielleicht erlernen die Ghegans ja in den nächsten Generationen noch den aufrechten Gang.«
»Waren die Medien draußen?«
»Klar. Sie haben Ghegan gefilmt, als er schreiend
Weitere Kostenlose Bücher