Im Netz des Teufels
abgeführt wurde.«
Michael dachte darüber nach. Das war nie gut, und in diesem Fall war es noch schlimmer. Wenn Falynn die Bilder sah, würde sie vielleicht für immer verschwinden. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Sicher.«
Michael erzählte Tommy von Falynns SMS und seinem Gespräch mit Deena Trent. »Versuch herauszufinden, wo sie steckt.«
Mit etwas Glück könnte Michael sein Eröffnungsplädoyer heute noch beenden. Feretti würde sein Plädoyer morgen früh halten, und wenn sie Falynn fanden und Michael ihr noch einmal gut zureden konnte, würde sie um elf Uhr im Zeugenstand sitzen.
»Mach ich«, sagte Tommy.
»Danke dir.«
Als Tommy gegangen war, stand Michael auf, schloss die Tür und zog das Jackett aus. Er stellte fest, dass seine Schultermuskeln nach den Ereignissen des heutigen Tages vollkommen verspannt waren. Nachdem er ein paar Dehnübungen gemacht hatte, fühlte er sich gleich etwas besser.
Er goss sich eine Tasse Kaffee ein, lief in dem kleinen Büro auf und ab und versuchte, sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. Während eines Eröffnungsplädoyers war er erst ein einziges Mal unterbrochen worden, doch das war nur eine Übung im Jurastudium gewesen. Damals hatte er nicht gerade geglänzt, aber das war lange her. Ehe er ein Staranwalt geworden war.
Ein paar Minuten später klingelte sein Handy. Michael schaute aufs Display. Es war eine unbekannte Nummer. Er musste das Gespräch annehmen. Es könnte Richter Greggs Sekretärin sein, die ihm sagen wollte, dass sich der Beginn der Verhandlung nach der Unterbrechung verzögerte. Das wäre dann die erste gute Nachricht an diesem Tag. Michael klappte das Handy auf.
»Michael Roman.«
»Mr Roman.«
Das war eine Feststellung und keine Frage. Es war die Stimme eines Mannes mit ausländischem Akzent.
»Wer sind Sie?«, fragte Michael.
»Das werden Sie gleich erfahren. Doch zuerst müssen Sie mir versprechen, dass Sie ruhig bleiben, egal, was in den nächsten Minuten passiert.«
Michael stand auf. Er hatte ein sonderbares Gefühl im Bauch, dieses Gefühl, das er immer hatte, wenn er in einer Verhandlung einen Zeugen befragte und dieser allmählich ins Wanken geriet. Doch in diesem Augenblick wusste er, dass es falsch war, aber er war sich nicht sicher, warum er es wusste.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Bevor ich etwas sage, müssen Sie mir versprechen, dass Sie mich zuerst ausreden lassen.«
Michael versprach nichts. »Ich höre.«
»Mein Name ist Aleksander«, begann der Mann. »Darf ich Sie Michael nennen?«
Michael schwieg.
»Okay. Keine Antwort ist auch eine Antwort«, fuhr der Mann fort. Er sprach unverkennbar mit dem estnischen Akzent, den Michael gut kannte.
»Ich nehme an, Sie haben inzwischen von der tragischen Ermordung eines Mannes namens Harkov gehört. Er war Anwalt wie Sie.«
Michael wurde übel. Dieser Mann rief ihn wegen Harkov an. War er ein Detective? Nein. Ein Polizist würde nicht sein Spiel mit ihm treiben. Ein Polizist würde mit Handschellen in der Hand in sein Büro marschieren. Vielleicht war er FBI-Beamter. Nein. FBI-Beamten hatten eine noch geringere Toleranzschwelle für Schwachsinn. »Ich hab’s gehört.«
»Ich glaube, Sie haben einmal die Dienste dieses Mannes in Anspruch genommen. Ist das richtig?«
»Was wollen Sie?«
»Ich möchte, dass Sie meine Frage beantworten. Es ist in Ihrem eigenen Interesse.«
Michael spürte Wut in sich aufsteigen. »Was wissen Sie denn über meine Interessen, verdammt? Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen, oder ich lege auf.«
»Oh«, sagte der Mann. »Ihr Temperament.«
»Mein Temperament ? Was zum Teufel soll das? Kennen wir uns?«
Der Mann zögerte kurz. »Nein, wir kennen uns nicht, aber ich habe in den letzten Stunden viel über Sie erfahren.«
»Wie bitte?«
»Sie haben dem Tod ins Auge geblickt«, sagte der Mann. »Sie standen schon mit einem Bein im Grab und haben überlebt. Genau wie ich.«
Der Mann fuhr fort, doch Michael hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, bis er sagte:
»Ich bin in Ihrem Haus. Abigail und den Mädchen geht es gut, und wenn Sie sich an meine Anweisungen halten, wird es auch so bleiben.«
Eine lähmende Kälte schoss Michael durch die Glieder, als hätte er plötzlich eine Narkose erhalten. Was soeben noch eine vage Möglichkeit gewesen war – dass dieser Mann über die Illegalität der Adoption seiner Kinder Bescheid wusste –, verwandelte sich jetzt in eine andere, noch schrecklichere Realität.
Der Mann fuhr fort.
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