Im Netz des Teufels
»Verständigen Sie nicht die Polizei, verständigen Sie nicht das FBI, verständigen Sie niemanden. Sollten Sie das tun, wird das der Fehler sein, an dem bis zu Ihrem letzten Atemzug alle anderen Fehler gemessen werden. Haben Sie mich verstanden?«
Michael lief wieder hin und her. »Ja.«
»Okay. Hören Sie mir bitte gut zu. Ich möchte, dass Sie mich Aleks nennen. Mein vollständiger Name ist Aleksander Savisaar. Das kann ich Ihnen ruhig sagen, weil ich weiß, dass Sie die Polizei nicht einschalten werden.«
Jetzt brach das Temperament des Staatsanwalts durch. Michael geriet in Rage. Ehe er es verhindern konnte, sagte er: »Woher wollen Sie wissen, was ich tun oder was ich nicht tun werde?«
Der Mann zögerte kurz. »Ich weiß es.«
Michael blieb stehen. Seine Muskeln waren vollkommen verspannt. Sein Bauchgefühl riet ihm, zur Polizei zu gehen. Dieses Gefühl stand im Einklang mit seiner Ausbildung, seiner Überzeugung, mit allen Fällen, in denen er jemals Anklage erhoben hatte, und mit allem, woran zu glauben er gelernt hatte. Wenn ein Freund oder ein Kollege in eine solche Situation geriete, würde er ihm diesen Rat geben.
Aber jetzt ging es um sein Leben, seine Frau, seine Kinder.
Michael nahm den Hörer des Telefons ab und wählte die Nummer seines privaten Festanschlusses. Das Haus in Eden Falls verfügte über zwei Nebenanschlüsse. Ein Telefon stand in der Küche und das andere im Schlafzimmer. Aus irgendeinem Grund teilte ihm eine Computerstimme mit, dass dieser Anschluss im Augenblick nicht erreichbar sei. Die Stimme der automatischen Ansage ging ihm durch Mark und Bein. Michael wählte Abbys Handynummer. Nach einer Sekunde hörte er es im Hintergrund klingeln. Es war unverkennbar Abbys Klingelton. Ihm gefror das Blut in den Adern. Der Mann war tatsächlich in seinem Haus.
»Jetzt haben Sie den Beweis«, sagte Aleks.
»Hören Sie«, begann Michael, der seine Wut kaum zügeln konnte. »Wenn meiner Familie irgendetwas zustößt, wird es keinen Ort auf Erden geben, an dem Sie sich verstecken können. Keinen. Haben Sie mich verstanden?«
Einen kurzen Augenblick befürchtete Michael, der Mann hätte aufgelegt.
»Es muss niemandem etwas zustoßen«, sagte Aleks. Die Ruhe des Mannes verstärkte Michaels Wut noch mehr und jagte ihm gleichzeitig kalte Schauer über den Rücken. »Aber das hängt ganz von Ihnen ab.«
Michael schwieg. Es war schon vier Uhr vorbei. Sein Telefon müsste jeden Augenblick klingeln. Sie würden ihn suchen.
»Ich schaue mir gerade Ihre Termine an«, sagte Aleks. »Sie müssten jetzt im Gerichtssaal sein. Gibt es Probleme?«
»Nein.«
»Gut. Ich sehe auch, dass Sie sich später noch mit einem Anstreicher in der Newark Street treffen wollen.«
Kälte breitete sich in Michaels ganzem Körper aus. Er stellte fest, dass er minutenlang keinen einzigen Muskel bewegt hatte. Dieser Mann kannte sein ganzes Leben.
»Sie verbringen den Rest des Tages so, als wäre nichts geschehen«, fuhr Aleks fort. »Sie nehmen alle Ihre Termine wahr. Sie verständigen niemanden und schicken niemanden zu Ihrem Haus. Sie rufen unter gar keinen Umständen hier an. Sie kommen nicht nach Hause.«
»Ich will mit meiner Frau sprechen.«
Der Mann reagierte nicht auf die Bitte. »Sie werden beobachtet, Michael Roman. Wenn Sie irgendetwas Ungewöhnliches tun oder wenn wir sehen, dass Sie mit einem Polizisten sprechen, werden Sie es bereuen.«
Mein Gott , dachte Michael. Es hing alles miteinander zusammen. Der brutale Mord an Viktor Harkov, der Diebstahl der vertraulichen Akten. Und jetzt hielt ein Irrer seine Familie gefangen.
Aber warum? Was wollte der Mann?
»Wenn Sie Ihr Büro verlassen, treffen Sie einen Menschen, in dessen Hand das Schicksal Ihrer Frau und der kleinen Mädchen liegt. Sie werden nicht erfahren, wer er ist. Seien Sie vernünftig, Michael. Ich melde mich bald wieder.«
»Verstehen Sie denn nicht? Wenn ich den Gerichtssaal betrete, stoße ich dort auf unzählige Polizisten, Detectives und Gerichtsbeamten. Ich kann nicht ...«
»Sie sprechen mit niemandem.«
Der Mann legte auf.
Das, was Michael noch vor wenigen Augenblicken befürchtet hatte – die Möglichkeit, seine Töchter in einem langwierigen Rechtsstreit zu verlieren –, verlor plötzlich jegliche Bedeutung. Jetzt kämpfte er um ihr Leben.
27. Kapitel
Das Morddezernat von Queens war im ersten Stock des 112. Polizeireviers in Forest Hills untergebracht. Es war ein kastenförmiges, unscheinbares Gebäude mit mintgrünen
Weitere Kostenlose Bücher