Im Netz des Teufels
Klienten vertreten hatte. Größtenteils handelte es sich um zivilrechtliche, aber auch um einige strafrechtliche Fälle.
Stand irgendwo auf diesen Blättern der Name seines Mörders?
Die Brutalität des Mordes ließ auf etwas anderes als einen Raubmord schließen. Hier ging es um Rache. Niemand nahm sich die Zeit, das zu tun, was Harkov angetan worden war, nur um ein paar Stunden totzuschlagen.
Es gab nur wenige Gründe, einen Menschen zu foltern. Powell fielen tatsächlich nur zwei ein. Erstens: Der Hass auf das Opfer war so stark, das Bedürfnis nach Rache so ausgeprägt, dass nur ein langsamer, schmerzvoller Tod die Rache stillen konnte. Zweitens: Man wollte Informationen von dem Opfer, die das Opfer nicht bereit war preiszugeben. Mehr Gründe gab es nicht. Es sei denn, jemand hatte eine Vorliebe dafür, Menschen zu foltern, doch das war selbst in einer Stadt wie New York recht ungewöhnlich.
Nach den Daten zu urteilen, war Viktor Harkov nur ein mittelmäßiger Verteidiger gewesen. Lediglich die Hälfte seiner Prozesse hatte er gewonnen. Einer seiner Klienten war zu einer fünfjährigen Haftstrafe in Dannemora verurteilt worden. Das war die längste Freiheitsstrafe, die in den Fällen, die er verloren hatte, verhängt worden war.
War das Urteil so hart, dass jemand das Bedürfnis haben könnte, seine abgrundtiefen Rachegelüste nach der Entlassung zu stillen? Powell nahm an, dass es auf jeden Fall möglich war, je nachdem, um was für einen Menschen es sich handelte.
Die erste Untersuchung des Tatortes und die Befragung der Nachbarn hatten keine Ergebnisse gebracht. Wieder einmal war ein Geist durch die belebten Straßen New Yorks geschwebt, hatte einen Mord begangen und war danach verschwunden.
»Am besten, wir gehen alle Leute durch, deren Fälle er verloren hat«, schlug Powell vor. »Vielleicht meinte jemand, Harkov hätte bei seiner Verteidigung nicht genug Einsatz gezeigt, und hatte ihn darum auf dem Kieker.«
»Sie meinen wie in Kap der Angst ?«
Powell starrte ihn an.
» Kap der Angst ? Der Film?«
Der letzte Film, den Desiree Powell gesehen hatte, war Der weiße Hai . Seitdem war sie nicht mehr im Kino oder am Rockaway Beach gewesen. »Stimmt«, erwiderte sie. »Ganz genau. Wie in Kap der Angst .«
Powell schaute auf die Tatortfotos. Dieser Typ war ein Monster. Ein wahres Schreckgespenst. Und jetzt lief er durch die Straßen ihrer Stadt und atmete ihre Luft. Das konnte und würde sie nicht hinnehmen.
Jedenfalls nicht lange , dachte sie.
Nicht lange.
Als Michael in den Gerichtssaal zurückkehrte, erschien ihm alles surreal, wie eine außerirdische Landschaft, die mit sonderbaren Erscheinungen bevölkert war. Ja, die Richterbank stand da, wo sie immer stand. Auch die Tische der Verteidigung und der Anklage standen da, wo sie immer standen. Die Protokollführerin saß ebenfalls auf ihrem Platz. Der Laptop stand vor ihr auf einem kleinen Tisch, und ihre flinken Finger schwebten startbereit über der Tastatur.
Michael hatte diesen Raum Hunderte Male betreten, über das Schicksal sowohl der Opfer als auch der Angeklagten entschieden und die steinigen Klippen von Recht und Gerechtigkeit mit Geschick, Präzision und einer großen Portion Glück umschifft. Doch niemals zuvor hatte er die Kontrolle verloren.
Seien Sie vernünftig, Michael. Ich melde mich bald wieder.
Michael zerbrach sich den Kopf und versuchte, die Stimme am Telefon einzuordnen, doch es gelang ihm nicht.
Ich möchte, dass Sie mich Aleks nennen. Mein vollständiger Name ist Aleksander Savisaar. Das sage ich Ihnen, weil ich weiß, dass Sie die Polizei nicht einschalten werden.
Auch an den Namen des Mannes erinnerte Michael sich nicht. War es jemand, gegen den er früher einmal die Anklage vertreten hatte? War es ein Verwandter einer Person, die er ins Gefängnis gebracht oder gegen die der Staat New York die Todesstrafe verhängt hatte? Ging es um Rache? Um Geld? War es jemand, der einen Groll gegen das Rechtssystem hegte und seine Wut jetzt an ihm ausließ?
Alle, die in einer Bezirksstaatsanwaltschaft oder in irgendeiner Abteilung einer Polizeibehörde arbeiteten, mussten stets wachsam sein. Es lag in der Natur der Sache, in diesem Job Kriminelle einzusperren, und die wurden dann eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt und gaben die Verantwortung für ihr beschissenes Leben denjenigen, die sie eingesperrt hatten.
Musste er sich Nachlässigkeit oder Versagen vorwerfen, weil er so etwas nicht hatte kommen sehen? Musste
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