Im Netz des Teufels
und den Rohbau des Hauses fertiggestellt.
Aleks kehrte in das längst verlassene Waisenheim in Treski zurück, in das er als Baby gebracht worden war. Er scheute keine Kosten, um das Heim von den Anwohnern Stein für Stein abreißen zu lassen. Nach seiner Rückkehr nach Kolossova stellte er Steinmetze ein, die rund um sein Haus eine Natursteinmauer errichteten.
Aleks, der es eilig hatte, das Dach zu decken, bevor der erste Schnee im Winter fiel, arbeitete bis spät in die Nacht hinein. Eines Abends, als die Dämmerung hereinbrach, saß er im ersten Stock und schaute über das Tal, als es heftig zu schneien begann.
Er war im Begriff, das Werkzeug zusammenzupacken, da glaubte er, eine Bewegung inmitten der Gruppe Blautannen im Westen zu sehen. Aleks hielt den Atem an und verharrte reglos, sodass er vollkommen mit der Umgebung verschmolz und unsichtbar wurde. Er strich über das Gewehr an seiner Seite und ließ den Blick über die Lichtung schweifen, doch dort bewegte sich nichts. Dort war aber etwas. Zwei leuchtende Perlen, die über dem Schnee zu schweben schienen. Aleks schaute genauer hin und erkannte allmählich eine Form, die rings um die funkelnden Kugeln zu wachsen schien. Die hohe Wölbung, die gespitzten Ohren, das blasse Rosa einer heraushängenden Zunge.
Es war ein grauer Wolf.
Nein , dachte er. Das konnte nicht sein. Der Wolf, der ihn auf dem Friedhof gefunden hatte, war jetzt voll ausgewachsen.
Als der alte Wolf sich langsam auf die knorrigen Vorderbeine stellte und sich mit arthritischer Schwerfälligkeit bewegte, glaubte Aleks es. Der alte Wolf war gekommen, um ihn noch einmal zu sehen, ehe er starb.
Aber was hatte diese Botschaft zu bedeuten?
Als er ein paar Tage später sah, dass das junge Mädchen, die Hellseherin namens Elena Keskküla, genau an derselben Stelle stand und ihn beobachtete, war es für ihn wie eine Offenbarung.
Im Laufe der nächsten Jahre sah er sie häufig, auch als ihre Familie nach Norden zog, und beobachtete die Menschen, die zu ihr auf den Bauernhof kamen und Geld, Lebensmittel oder Vieh mitbrachten, um sie für ihre Dienste zu entlohnen.
In jenen Tagen stellte er sich oft vor, wie er auf einem Hügel saß, wie die Tage dahineilten, innerhalb von Sekunden der Frühling auf den Winter folgte und ein Jahrzehnt nach dem anderen begann. Er sah das Korn reifen und die Felder im Winter brachliegen. Er sah Städte im Wald entstehen, sah sie erblühen, wachsen, nach Ruhm streben, sah sie verfallen und in Schutt und Asche versinken. Er sah junge Bäume in den Himmel wachsen und dann Ackerland weichen. Er sah, wie Tiere gemästet wurden, Junge bekamen, sie säugten, und dann sah er Sekunden später, wie die Jungen diesen wundersamen Zyklus erneut begannen. Er sah, wie sich schwarze Wolken am Himmel ballten, das Meer tobte und sich wieder beruhigte, wie starke Beben die Erde erschütterten. Nadelwälder erstreckten sich von den Bergen bis hinunter in die Täler zu den Flüssen und Seen, die wiederum den Gärten und Feldern Leben spendeten.
Während all dieser Ereignisse, durch ewige Kriege, Seuchen und Gier, Generationen von Gesetzlosigkeit und Habsucht hindurch, waren seine Töchter an seiner Seite. Marya, die Pragmatische, die Hüterin seiner Seele. Anna, die Künstlerin seines Herzens. Olga, niemals gesehen, aber immer gespürt – sein Anker.
Er strich über die drei Glasfläschchen an seinem Hals. So oder so, gemeinsam würden sie ewig leben.
Er beobachtete sie, als sie im Garten spielten und ihr seidiges blondes Haar in der Brise wehte. Sie hatten Elenas Aussehen, und eine Aura von Vernunft und Einsicht umgab sie.
Er hockte sich auf den Boden. Sie kamen auf ihn zu, ohne die geringste Angst zu zeigen. Vielleicht sahen sie in seinen Augen ihre eigenen Augen. Vielleicht sahen sie in ihm ihr Schicksal. Sie waren so hübsch, dass sein Herz bei ihrem Anblick laut zu klopfen begann. Er hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet. Und die ganze Zeit begleitete ihn die Angst, es würde niemals geschehen und seine Unsterblichkeit sei nur ein Märchen.
Ohne ein Wort zu sagen, griff er in die Tasche, zog die beiden Marmoreier heraus und gab sie den Mädchen.
Die Mädchen betrachteten die Eier aufmerksam und strichen mit den kleinen Fingern über die kunstvolle Gravur. Aleks hatte das Bild, das sie gemalt hatten, am Kühlschrank hängen sehen. Ihm war aufgefallen, dass ein Teil fehlte.
Anna, die Emily genannt wurde, beugte sich dicht zu ihm vor und flüsterte: »Wir wussten,
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