Im Netz des Verbrechens
Empfangsraum, während ein Typ hinter ihm die Waffe in seinen Nacken drückte.
Bitte verzeih mir , formte sie stumm mit den Lippen. Auf Russisch. Er würde es nicht verstehen.
Wie blöd sie doch gewesen war, darauf zu bestehen, hierher zu fahren. Ohne für Rückendeckung zu sorgen. Ohne sich wirklich sicher zu sein, dass keiner ihnen folgte.
Auf der Treppe waren langsame, unregelmäßige Schritte zu hören, ein Schlurfen, und schweres Atmen, als forderten diese wenigen Stufen von jemandem die letzte Energie, und schließlich trat eine Gestalt in den Flur. Juna erkannte den Mann, der sich auf eine Krücke stützte, nicht sofort, so sehr war sein Gesicht, sein ganzes Wesen verunstaltet.
»Oleg?«
Er deutete eine Verbeugung an, soweit es ihm sein Körper erlaubte. Die Schmerzen, die dieses Schauspiel ihm verursachte, ertrug er stoisch, sogar mit einem rabiaten Halblächeln. »Ich frage mich, was ich bei dieser unserer Begegnung zitieren soll. Mal überlegen. Was hältst du von diesen Zeilen:
Wenn das Leben dich betrügt,
Sei nicht traurig, nicht beklommen!
Bleib auch beim Schicksalsschlag vergnügt:
Ein bessrer Tag, glaub mir, wird kommen. «
Wie er beim Rezitieren die Augen nach oben rollte, erinnerte sein Gesicht an Puschkins Totenmaske, nur in einer Van-Gogh-Ausführung.
»Oleg!«, sagte Nick, eindringlich und dennoch bedrohlich ruhig. »Du auch hier?«
Oleg fuhr herum und schwankte. Einer von seinen Jungs war sofort bei ihm und stützte ihn. Zuerst dachte Juna, er würde sich diese Blöße nicht geben, doch dann verlagerte er sein Gewicht, holte mit der Krücke aus und ließ sie auf Nick hinuntersausen. Er zielte auf den Kopf, doch Nick hob rasch die Hand und fing den Metallstab ab. Ohne Mühe trotzte er Olegs Versuchen, das Ding zurückzubekommen. Bis direkt neben seinem Ohr die Pistole abgefeuert wurde. Er keuchte, ließ die Krücke los und drückte sich eine Hand aufs Ohr. Im gleichen Augenblick drosch Oleg auf ihn ein, dann noch einmal und noch einmal, bis Nick in die Knie ging.
»Nein, lass ihn!« Juna machte einen Ruck auf ihn zu, doch der Mann hinter ihr riss sie am Haar zurück.
Oleg wandte sich ihr zu. »Juna, wo waren wir? Bei Puschkin, wenn ich mich nicht irre. Ja, er hat zu allen Lebenslagen was zu sagen, der Poet. Und recht hat er! Wie es aussieht, brechen für mich endlich die besseren Tage an.«
»Was willst du von uns?« Sie sah zu, wie ein Blutrinnsal Nicks Stirn hinunterkroch. Der Typ hinter ihm hielt ihn mit seiner Pistole unten.
»Von euch? Meinst du dich und diesen …« Er verzog das Gesicht und wechselte auf Deutsch. »Bullen! Na?«
Nick schwieg. Oleg seufzte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ja, er redet nicht mit jedem, Juna. Dass du dich mit diesem Stück Dreck abgibst! Hat er dir schon erzählt, wie tapfer er mir das Leben gerettet hat? Damit ich den Rest davon hinter Gittern verbringe? Nicht mit Oleg Woronin.« Er lachte auf, was krächzend wie ein Vogellaut kam. »Nikcht mit Oleg, Niekkie, klarr? Ich krrrieege alles zurrück! Alles!«
Nick sah auf. »Lass sie gehen. Und wir reden über die Sache. Es gibt sicher Möglichkeiten …«
Oleg machte ein Zeichen und der Typ schlug ihn mit dem Pistolengriff an die Schläfe.
»Lass ihn!«, rief Juna.
»Und dann? Willst du mit mir etwa auch reden? Nein, Juna, zum reden ist es zu spät. Anscheinend hat er es noch immer nicht kapiert, wie es bei uns läuft. Wir machen keine Deals mit der Staatsanwaltschaft, wir verraten unsere Brüder nicht. Und jetzt …«, er machte eine weit ausschweifende Geste, »habe ich alles, was ich brauche. Und noch mehr. Aber weißt du was? Ich tue dir einen Gefallen, Juna. Obwohl du mich fast das Leben gekostet hast, werde ich nett zu dir sein. Ich erspare dir zuzusehen, wie sein Hirn an der Wand landet. Was sagst du?« Er machte ein Zeichen.
Der Typ schob sie der Eingangstür entgegen.
»Nein!« Sie wehrte sich.
Wollte sich wehren.
Doch der Mann bog ihr den Kopf in den Nacken und zischte ihr ins Ohr: »Mach weiter so, und du wirst gleich sehen, wie viel Spaß ihm eine Kugel im Knie machen wird.«
»Nein. Bitte, nicht. Oleg! Ich mache alles, was du willst, nur tu ihm nichts an!«
Oleg stand bereits draußen vor der Treppe und stützte sich auf seine Krücke. »Das wirst du auch so tun, glaub mir. Beweg dich!«
Der Typ stieß sie über die Schwelle und zerrte sie die Treppenstufen hoch. Es nieselte wieder. Auf dem Parkplatz standen ein schwarzer Mercedes und ein protziger Geländewagen. Der
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