Im Netz des Verbrechens
bekannt, nehme ich an.«
Der Raum war spartanisch, aber sehr stilvoll eingerichtet, weiß mit ein paar Akzenten Schwarz, was ihn größer und heller wirken ließ. An der Wand standen ein kleiner Tisch und zwei Ledersessel, die einander zugewandt waren. Darüber verliefen Regale, einige davon so schief und chaotisch, dass man auf den ersten Blick erkannte: Es war Kunst. Oder zumindest sehr nah dran.
Elinor brachte einen Stuhl und nahm selbst in einem der Ledersessel Platz. In den Händen drehte sie den Kranich, den sie zuvor bekommen hatte, bis sie das Origami mit einer gönnerhaften Geste auf den Tisch legte.
Nick setzte sich auf den Stuhl und platzierte die Karte in die Mitte des Tisches. »Warum ist es ein Fehldruck?«
Enttäuscht ließ sich Juna im Sessel nieder. Das mit dem Fehldruck – das wollte sie doch gar nicht wissen! Viel eher, wie oft Kay schon in Russland gewesen war, wie lange, und in welchen Städten. Andererseits war es gar kein schlechter Zug, mit oberflächlichen Themen anzufangen.
Elinor Martin tippte mit ihrem pummeligen, sorgfältig lackierten Fingern auf das große I. »Die Krähe hier hat keinen schönen Neigungswinkel, sieht aus, als hätte sie jemand geworfen wie einen Ball.«
»Es ist eine Krähe?«, bohrte er nach. »Kein Rabe oder ein anderer Raubvogel?«
»Selbstverständlich ist es eine Krähe.«
»Und warum hat Kay ausgerechnet diesen Vogel für sein Logo gewählt?«
»Einst glaubte man daran, dass die Krähe ins Totenreich und zurück fliegen kann. Sein jüngerer Bruder ist im Kindesalter ums Leben gekommen. Vielleicht will er mit ihm in Kontakt bleiben? Mh. Kaffee?«
»Ja. Gerne.« Nick ließ sich keine Gelegenheit entgehen, etwas Koffein zu ergattern.
»Na wunderbar!« Elinor langte über den Tisch und tätschelte Junas Hand. »Komm Kindchen, ich zeige dir, wie eine brasilianische Hymne auf den Kaffee entsteht.«
Als wüsste sie nicht, wie man Kaffee kochte! Manchmal glaubte sie, ihr Russischsein bedeutete hierzulande nur ›nix verstehe‹ und ›zu blöd, um einen Einkaufswagen zu holen‹.
Die Managerin war bereits auf den Beinen, klackerte auf ihren Absätzen in Richtung Flur und zwitscherte unverfroren weiter, obwohl sie nicht mehr zu sehen war: »Krähen sind meiner Meinung nach wundersame Geschöpfe. Ich bin froh, dass er sich für das Motiv entschieden hat. Die Vögel können …«
Jetzt auch noch ein Vortrag über die Familie der Corvidae? Verunsichert suchte sie Nicks Blick. Das konnte doch nicht wahr sein!
»Geh schon«, flüsterte er ihr zu, »vielleicht sagt sie noch etwas Nützliches.«
Sie folgte der Managerin, holte diese aber erst etliche Meter weiter im Flur ein.
»… fast dem Menschenalter entspricht; haben sie einen Partner erwählt, bleiben sie ihm treu, und da soll mir jemand erzählen, dass eine Ehe unnatürlich sei! Und wie intelligent diese Tiere sind …«
Erst in der Küche war der Vortrag beendet, dafür begann einer über den brasilianischen Kaffee.
Irgendwann waren aber auch diese drei Tassen zubereitet. Über das Brutverhalten der Krähen und die Röstungsmöglichkeiten vom Kaffee wusste sie jetzt bestens Bescheid.
»Ach, ich habe gar keine Kekse mehr, nun, etwas zum Verschönern gibt es trotzdem.« Elinor Martin durchsuchte die Taschen ihrer Hose und verteilte auf den Untertellern die Origamikraniche – den aus dem Handbuch bei sich und zwei weitere auf den beiden übrig gebliebenen Tellern. »Das ist deiner.« Sie drückte Juna eine der Tassen in die Hände.
»Danke.«
»Keine Ursache.« Elinor Martin deutete auf den Kranich. »Ein wenig wie Glückskekse, was? Was mich angeht, halte ich mich immer an die klugen Sprüche – die alten Chinesen wussten schon Bescheid. Wie war das? Ach. Wenn der Gegner übermächtig ist, ist Hilfe zu suchen keine Schwäche.«
»Was?«
»Ach, was rede ich nur für einen Unsinn! Vergiss es. Komm endlich!«
Die Managerin nahm die zweite Tasse ebenfalls und tippelte in den Flur. Mit ihrer Energie erinnerte sie an den unermüdlichen Duracell-Hasen, der lief und lief und lief … Juna steckte den Kranich ein und eilte der Frau nach. »Hilfe suchen keine Schwäche. Was meinen Sie?«
Sie waren bereits auf dem halben Weg zum Besprechungsraum, als das Schloss der Eingangstür rasselte. Elinor Martin blieb abrupt stehen.
»Kay?«, fragte Juna hoffnungsvoll.
Das Schloss rasselte weiter. Wenn es Kay war, dann wusste er anscheinend nicht mehr, was man mit einem Schlüssel anstellte. Oder er traf das
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