Im Netz des Verbrechens
Nähe. Das Gebäude war den Bauten der Umgebung zum Verwechseln ähnlich, alles wirkte grau und trostlos. Auf dem Parkplatz stand ein himmelblauer Mazda. Kays Wagen?
Niemand würde sich je zufällig hierhin verirren. Und sollte ein renommiertes Fotostudio nicht etwas glamouröser ausfallen? Daheim kannte sie viele Scheingeschäfte, die für kriminelle Machenschaften genutzt wurden. Warum dann kein Fotostudio? Geführt von einem Fotografen, der viel in der Welt rumkam. Womöglich auch nach Russland. Natürlich! So musste es sein, oder nicht?
Sie wollte aussteigen, doch Nick hielt sie fest. »Warte!«
»Warum?«, wollte sie wissen.
»Ich muss noch etwas basteln.« Er wühlte im Handschuhfach nach Papier, langte nach dem Handbuch des Wagens und riss eine Seite heraus. »Einen Kranich.«
»Du willst machen Kranich? Warum?«
»Elinors Wagen steht da. Kay ist anscheinend noch nicht zurück. Aber vielleicht kann sie uns etwas erzählen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es im Studio etwas gibt, was sie nicht mitbekommen hätte.«
»Ja und?«
»Ich habe dir ja erzählt, dass ich das Studio im Visier hatte. Ich wollte sehen, ob jemand auf einen Kranich reagieren würde, aber da war nichts. Daraus ist aber eine kleine Tradition entstanden. Wenn ich herkomme, bringe ich einen Kranich mit. Elinor empört sich jedes Mal darüber, aber auch das gehört zu unserem Ritual. Ich habe das schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht ist es ein guter Zeitpunkt, es aufleben zu lassen.« Er zögerte, riss eine Seite aus dem Handbuch aus und faltete den Vogel, den er schließlich zwischen zwei Fingern hochhielt. »Hübsch geworden, oder? So, jetzt können wir gehen.«
Sie passte auf, um an den nassen, teilweise moosbedeckten Stufen aus altem Backstein nicht auszurutschen und beäugte kritisch die Wände, die sie vor der Eingangstür umschlossen. Noch ein paar Jährchen, und man müsste aufpassen, hier nicht lebendig begraben zu werden, wenn man klingelte.
Sie drückte auf den Knopf. Eine Zeit lang passierte nichts, dann wurde die Tür geöffnet. Auf der Schwelle erschien die Managerin. Sie trug eine elegante Kombination aus einer weiten schwarzen Hose und einer ebenfalls schwarzen Bluse mit langen Ärmeln, die sich vom Ellbogen aus weiteten und mit einem Zipfel über dem Handrücken endeten. Ihr kurzes, platinblondes Haar bildete einen deutlichen Kontrast zur Farbe ihrer Kleidung, die es schaffte, sogar ihrer Figur zu schmeicheln.
Juna erinnerte sich noch zu gut an die Begegnung mit ihr und lächelte zur Begrüßung, obwohl Elinor eine durchaus einschüchternde Ausstrahlung hatte. Der toughe Teigkloß Kolobok in einer Gremlin-Ausführung. Bloß nicht nach Mitternacht füttern. Sie holte tief Luft. »Elinor Martin, die Managerin des Fotostudios Dream Impressions , ja?«
Die Feststellung schien nicht gerade auf Begeisterung zu stoßen. »Womit kann ich dienen?«
Juna wollten die richtigen Worte partout nicht auf die Zunge kommen, deshalb stupste sie Nick an: »Sage du ihr!«
Er lehnte sich mit einer Schulter an die Wand, zog lässig den Kranich aus der Hosentasche und hielt es der Frau mit zwei Fingern entgegen. »Sag mal, Herzallerliebste, ist Kay da?«
Mit einem hochgestochenen ›Hm!‹ griff sie nach dem Papiervogel. »Nein, tut mir leid, er ist nicht im Studio, ich weiß nicht, wo er ist oder wann er zurückkommt.«
»Kennen Sie das hier?« Er zeigte ihr eine Visitenkarte.
Seufzend nahm Elinor Martin das Teil entgegen und betrachtete es von allen Seiten. Mit einem Gesichtsausdruck, als müsste sie bei einem Deal die Reinheit der Drogen überprüfen. Schließlich gab sie die Karte zurück. »Ein Fehldruck. Unser erster Versuch, eine Visitenkarte für das Studio zu entwerfen. Ist schon Jahre her. Wissen Sie was? Kommen Sie doch rein, wir reden drinnen weiter.«
Schwungvoll fuhr sie herum und klackerte den Flur entlang auf ihren Pfennigabsätzen.
Das erste, was Juna auffiel, während sie sich beeilte, die Managerin einzuholen, waren die leeren Wände. Die Bilder fehlten. Kein einziges Foto hing mehr im Flur. Sie hielt an, von den kahlen Wänden unangenehm berührt.
Vor einem der Räume drehte sich Elinor Martin scharf um und hielt einen Augenblick still. Dann sagte sie: »Ja, nachdem Leah verschwunden ist, hat er alle Bilder abgenommen, wirklich alle, und nicht nur das: Er hat seitdem kein einziges Foto mehr geschossen. Wir machen uns alle Sorgen. Hier haben wir unseren Empfangsraum, aber das ist Herrn Milla wohl
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