Im Netz des Verbrechens
wollte einfach nicht in ihren Kopf. Pyschka, ihre Pyschka steckte mit diesen Typen unter einer Decke? »Du bist meine Freundin!«
»Eine Freundin! Du kennst doch nicht einmal meinen Namen!«
»Du …«
»Dshanan. Nicht Pyschka, nicht Süße – Dshanan Magomedova. Das ist mein Name.«
»Lass Juna frei!«, holte Nicks Stimme sie ein.
Unwillkürlich suchte sie nach ihm. Da! Weiter vorne, am anderen Ende des Decks.
»Lass Juna frei!«, wiederholte er und die Drohung in seinem eisernen Ton war kaum zu überhören.
Pyschka feuerte. Die Kugel zwang ihn, sofort Deckung zu suchen.
Schritt für Schritt wurde Juna weiter nach hinten gezogen. Der Wind kam wie ein Stoß. Sie erzitterte in Pyschkas Griff. Diese Freundschaft, die Entführung – alles nur vorgetäuscht? War sie wirklich so blind gewesen, es die ganze Zeit nicht zu merken?
»Pyschka, nein!«, wisperte sie. »Konntest du dieses Spiel wirklich so lange treiben? Die ganze Zeit meine Freundin mimen. Warum das alles?«
Pyschka feuerte wieder in Nicks Richtung. »Verdammt, er soll mir vom Leib bleiben. Ich muss runter von diesem Boot.«
»Was machst du da? Was willst du?«
»Die Aufzeichnungen. Ich dachte, Byk wäre deutlich genug gewesen.«
Ein Zittern ging durch ihren Körper, den sie immer weniger unter Kontrolle hatte. Sie krümmte sich, doch Pyschka ließ sie nicht los. »Stehen bleiben!«
War es wirklich Pyschka gewesen, die Byk auf sie gehetzt hatte? Die keinen Finger gerührt hatte, während er Juna dort unten gefoltert hatte?
Sie dachte daran, wie sie Pyschka in diesem Gebäude gefunden hatte, in dem der Killer gerade ihren Vater und die Wachleute umgebracht hatte. Wie sie sich an ihre Freundin gedrückt, wie sie versucht hatte, einem zu Tode verängstigten Mädchen Mut zu machen.
Dabei hatte dieses Mädchen selbst kurz zuvor den Abzug betätigt. »Nein. Du kannst das nicht ernst meinen. Du kannst unmöglich so etwas tun!«
»Im Krieg tut man so einiges.«
Schritt für Schritt wich Pyschka mit ihr zurück. Wo war Nick? Vielleicht versuchte er, von einer anderen Seite näher heranzukommen?
»Was für ein Krieg? Wovon sprichst du?«
»Von Tschetschenien, meiner Heimat, die ihr Russen zerstört habt. Und ihr habt immer noch nicht genug. Bis der letzte Tropfen Öl ausgequetscht, der letzte Mann krepiert und der letzte Wille gebrochen ist. Aber das wird nicht geschehen!«
»Was redest du da? Es gibt seit 2009 keine russischen Truppen mehr in Tschetschenien.«
»Dass ich nicht lache! Weißt du, wie viele Menschen in dieser Zeit verschleppt, gefoltert und getötet wurden? Wie viele Frauen vergewaltigt? Aber wir werden nie aufhören, um unsere Freiheit zu kämpfen. Egal, wie viele ihr von unseren Vätern, Ehemännern und Brüdern tötet. Nastojaschtschaja krowj – wir sind viele. Und schon bald werden wir euch das Fürchten lehren. Ob mit den verschollenen Aufzeichnungen oder ohne. Schon bald, schon sehr bald. Dann werden Tausende sterben, wie Tausende auf unserer Seite sterben mussten.«
»Du bist eine Terroristin? Nastojaschtschaja krowj – so nennt ihr euch?«
»Terroristen – ja, so nennt ihr uns. Wir sind Widerstandskämpfer.«
»Nein, Pyschka … ich meine … nein …«
Pyschka riss sie herum. »Als eure Soldaten in meine Siedlung gekommen sind, war ich zehn Jahre alt. Mein Bruder war fünfzehn, als sie ihn abholten. Fünfzehn! Wir waren bei einer Nachbarin, einer alten Frau namens Ada, die so gut Tschepalgasch zubereiten konnte, dass man vom Tisch erst dann aufstand, wenn man beinahe platzte. Sie wollte verhindern, dass die Soldaten Tagir mitnahmen. Sie wollte sie aufhalten, stieß die Männer fort, zerrte an ihren Armen. Die Soldaten haben sie mit Gewehrkolben niedergeschlagen und prügelten auf sie ein, bis sie sich nicht mehr rührte. Meinen Bruder haben sie abgeführt. Er ist gestorben. Wir wissen nicht, wann genau. Aber die anderen, die zusammen mit ihm verhaftet wurden und entkommen konnten, berichteten uns, wie er gefoltert wurde. Wie ihm immer wieder Fragen gestellt wurden, auf die er nicht antworten konnte. Er hatte doch keine Ahnung, wo die Widerstandskämpfer waren! Er war keiner von ihnen! Er hat niemandem etwas getan!« Pyschka schrie. Und als sie alles herausgeschrien hatte, war sie plötzlich still. »An dem Tag habe ich mir geschworen, dass ich nie wieder der Ungerechtigkeit zusehen werde, ohne etwas dagegen zu unternehmen.«
»Waffe fallen lassen! Keine Bewegung!« Nick war wieder da. Er hatte tatsächlich einen
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