Im Netz des Verbrechens
seinen Höhenpunkt. Mal wickelt sie sich noch enger in die Tücher ein, gleitet durch die Luft, mal lässt sie sich zu Boden herab – es scheint fast, als würde sie entkommen, doch die Musik und die gaffende Menge halten sie fest. Und wohin sollte sie schon laufen? Pawel gibt gut auf seine Mädchen acht.
Ihr Körper ist in einen halbdurchsichtigen Body gehüllt, über die Schulter und den Bauch lecken feurige Zungen, die bei jeder Bewegung im Licht der Strahler aufblitzen. Der Stoff liegt so eng an, dass man die Rundungen ihres Busens, die Brustwarzen und den schmalen Streifen ihres Flaums am Unterleib erahnen kann. Zum letzten Mal lässt sie sich auf die Bühne gleiten und sinkt in sich zusammen. Die Musik erstirbt mit ihr, ein paar Tücher wirbeln zu ihr herab und bedecken ihren mageren Leib. In der plötzlichen Dunkelheit glüht der Zauber ihrer Darbietung aus. Sie war gut. Sie wird heute viele Verehrer finden. Das arme Ding.
Unbemerkt verschwindet sie von der Bühne. Im Hintergrund schwillt neue Musik an. Das rote Licht durchbricht die Dunkelheit. Zu meiner rechten steht ein Glas Wodka-Cola. Die Brünette lächelt einen anderen an. Der Takt ist feurig, schnell, es ist Samba – also muss ich nicht lange warten. Sie steht schon auf der Bühne, die schwarz-roten langen Federn an ihrem Rücken zittern, der Schmuck ihres Kostüms klimpert und funkelt im Licht, das sie umspielt. Die bronzefarbene Haut schimmert vom goldenen Staub, mit dem sie von Kopf bis Fuß bedeckt ist. Escola de Samba! , hallt es durch den Saal, die Menge grölt.
Ein bisschen Rio. Ein bisschen die kleine Chiquita.
Sie beginnt zu schwitzen, ihre Haut glänzt feucht und heizt die Gemüter noch mehr an. Ihre Bewegungen scheinen mühelos, jeder Schwung der Hüfte treibt die Musik noch mehr an, jede Drehung ist die pure Energie, aber es ist keine Freude in ihrem Tanz. Ihre straffen Oberschenkel vibrieren, die Brust wippt hoch und runter, wird durchgeschüttelt, und lässt den Schmuck klirren. Sie ist siebzehn. Ihr Blick ist starr, ausdruckslos. Ich krame in den Taschen meiner Jeans und lege alle meine Scheine auf den Tresen. » Chiquita «, sage ich. Der Barkeeper streicht das Geld ein und reicht mir eine Plastik-Karte für eine Lounge des VIP-Bereichs. Auch sein Blick ist starr, ausdruckslos. Auch für ihn kann ein Stapel Scheine über den Tresen wandern.
Perles d’Or . Sie alle sagen, sie machen es freiwillig.
Zwischen den verschwitzten Körpern bahne ich mir den Weg zum hinteren Teil des Saals. Von hinten schließt sich ein Arm um meinen Hals. Es ist zu eng, als dass ich dem Impuls nachgehen kann, den Angreifer auf den Boden zu werfen. Ich schlage bloß den Arm beiseite, drehe mich um. Es ist die Brünette. Die ihren Longdrink auf ihr Kleid verschüttet hat. Ich beuge mich zu ihr herüber. »Fass mich noch einmal an, und du bist tot«, zische ich durch die zusammengepressten Zähne. Sie starrt meine Narben an. Ich glaube, sie hat’s kapiert.
Auf der Empore, die zum VIP-Bereich führt, zeige ich dem Vorsteher die Plastikkarte. Er lässt mich eintreten. Meine Tür ist die dritte von links. Ich ziehe die Karte durch einen Spalt, das grüne Lämpchen leuchtet auf, ich trete ein. Die Musik, die Stimmen – alles wird von den Wänden verschluckt. Ein Refugium. Aber der Schein trügt.
Brasilien ist ein Land der Extreme. Man findet dort alles von millionenteuren Fußballprofis bis zu den Kickern in staubigen Hinterhöfen; von Haute-Couture-Models bis zu den schmutzigen Prostituierten irgendwo in den Slums. Dieses Zimmer versammelt nur die Klischees. Es ist nur eine Kulisse, ein Mittel zu einem einzigen Zweck. Ein großes Himmelbett, Masken an den Wänden, schwarze Vasen mit gewunden Zweigen, die mit vielen kleinen Lämpchen versehen sind. Ich setze mich auf den Bettrand und warte, stehe auf, gehe herum, warte.
Einige Zeit später erscheint sie. Chiquita, die mit richtigem Namen Maria Rojas heißt. Sie ist nicht einmal eine Brasilianerin.
»Hello, Maria«, sage ich und ernte einen verschreckten Blick. Jetzt habe ich ihre Aufmerksamkeit, schätze ich.
Sie spricht Englisch, zumindest gut genug, um sich nicht mit Händen und Füßen unterhalten zu müssen. Ihr Gesicht ist blass, trotz der Schminke und ihres bronzefarbenen Teints. Federwimpern. Sie nennt mich ›mein Hübscher‹.
»Du bist ganz schön teuer.« Smalltalk war noch nie meine Stärke. Sie erwartet keinen Smalltalk. Sie lacht. Sagt, ich solle mich entspannten und ich werde keinen
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