Im Netz des Verbrechens
herausziehen, bot jedoch genug Platz, um darauf schlafen zu können. Leah brachte einen Satz Bettwäsche und ein Kissen, als provisorisches Negligé musste eines von Kays T-Shirts herhalten.
Eine halbe Stunde später kuschelte sich Juna unter der Fleece-Decke ein. Anscheinend hatten Leah und Kay nicht oft Besuch, auf Gäste war die Wohnung nicht wirklich ausgelegt. Vielleicht brauchte man auch keinen Besuch, wenn man einander hatte. In Leahs Zimmer brannte noch immer Licht, das durch den dünnen Spalt unter der Tür hindurchschimmerte. Juna drehte sich auf die andere Seite und schloss die Augen. Ihre Gedanken kreisten um Perles d’Or , aus irgendeinem Grund sah sie Snegurotschka , die berühmte Enkelin von Väterchen Frost, die zu Silvester zusammen mit ihrem Opa brav Geschenke an die vielen russischen Kinder austeilte. Doch jetzt legte das Schneemädchen einen alles andere als jugendfreien Table-Dance hin. Ihr weißer, wie mit der ersten Frostschicht bezogener Körper rekelte sich an der Stange, und die feinen Härchen glitzerten dabei wie tausend Diamanten. Unter den betörten Gaffern stand Nick, sah zu ihr auf und flüsterte: ›Hui!‹ Juna fühlte eine Berührung, stöhnte unter den kalten, vorsichtigen Fingern auf, sah Leah, die versuchte, das Schneemädchen von der Stange fortzuziehen. Plötzlich merkte Juna, dass sie selbst das Schneemädchen war – hinter ihr lauerte Oleg und raunte ihr ins Ohr: ›Mit dir beschäftige ich mich später.‹ Die kalten Finger strichen ihr über das Gesicht. ›Leah!‹, rief sie, und es war, als würde sie vom Grund eines eingefrorenen Flusses schreien. Im Dämmerzustand registrierte sie, wie dunkel es um sie herum war. Auch das Licht in Leahs Zimmer war erloschen. Sie fühlte Beklemmung, Furcht – alles ein wenig diffus, unecht und an der Grenze zur Wirklichkeit, sie musste sich ausruhen …
Im Halbschlaf dachte sie, jemand stünde neben dem Sofa und beobachte sie, doch als sie sich irgendwann die Lider rieb und hinsah, war von der Gestalt nichts mehr zu sehen. Jeder trug Gespenster in sich. Die ihren waren manchmal viel zu real.
Nick
Es ist bereits dunkel. Die schwungvolle Neonschrift Perles d’Or leuchtet in die nächtliche Stadt. Die Luft ist feucht und kratzig von den Abgasen der Großstadt. Es hat geregnet. Nach und nach füllt sich der Nachtclub mit Stimmengewirr, Lachen, Musik. Jedes Mal, wenn die Tür aufschwingt, dringt ein Schwall von Geräuschen nach draußen. Vor der Kordel, die den Zugang versperrt, hat sich bereits das ungeduldige Publikum angesammelt. Mein Rücken schmerzt, als ich aus dem Wagen steige. Ich muss eingenickt sein, während ich im Auto gewartet habe. Die Schwere des verflogenen Halbschlafs macht meinen Verstand träge. Ich bin müde.
Bereits von Weitem merke ich den Ärger anrollen – der Typ baut sich vor dem Türsteher auf, lallt ihm etwas zu. »… du wixxa … machstu hier auf ultrakuuuhl, was?« Allein vom Zuhören bekommt man den Eindruck, er beherrsche keine Groß- und Kleinschreibung. Seine Alkoholfahne weht um den gesamten Block. »Hör zu«, erklärt Detlev und drängt den Kerl von der Tür weg, »ich bin nur ein Angestellter. Glaub mir, es lohnt sich nicht, Ärger zu machen.« Ich nicke ihm zu, als er mir die Kordel öffnet, merke noch, wie der Typ ihn vor die Brust stößt. Zwei Sekunden später liegt der Kerl auf dem Boden. Sein Ego ist platt wie das Hundehäufchen, in das er zuvor getreten haben musste, urplötzlich ist Ruhe. »Viel Spaß«, wünscht Detlev mir, als er von dem Kerl ablässt. Ich nicke ihm erneut zu und betrete den Club.
Es ist sehr laut drinnen, dennoch fällt es mir schwer, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Die Luft ist schlecht, und es ist unmöglich, sich zu konzentrieren. Lila, Blau, Rot – allein die Farben schicken mich auf einen wirren Trip, dazu die Musik, die Körper, die sich im Takt bewegen. Ich schiebe mich weiter zur Bar – von hier aus kann man alles gut überblicken. Über der runden Bühne in der Mitte des Raums hängen weiße Tücher, die in den ineinanderfließenden Lichtern bunt aufleuchten. Das Mädchen, das sich darin rekelt, sieht aus wie eine Elfe, die sich in einem Spinnennetz verfangen hat. Ich schiebe einen Schein über die Theke. »Wodka-Cola.« Neben mir sitzt eine Brünette und prostet mir mit ihrem Longdrink zu. Sie hat unglaublich lange falsche Wimpern. Und muss inzwischen ziemlich voll sein, wenn sie ausgerechnet mir zulächelt.
Der Kampf des Elfenmädchens erreicht
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