Im Netz des Verbrechens
die Schuld dafür zu geben.«
Juna dachte an die Todesanzeige. An den Klang der Worte, die blieben, auch wenn man den genauen Laut vergessen hatte. Stammten die Zeilen von Leah? Oder von … »Was war mit Nick und Céline?«
»Hm? Du meinst, ob sie zusammen waren? Nein. Doch. Irgendwie schon. Aber Céline war nicht der Typ für etwas Ernstes.«
Trotzdem hatte er ihre Todesanzeige aufbewahrt. Auf dieser kryptischen Tafel. Hatte Célines Tod etwas mit dem Club und den Mädchen in der Baracke zu tun? Sie zwang ihren Blick auf die Mappe. »Was ist das?«
»Daten zu irgendwelchen Models. Im ersten Moment habe ich gedacht, er wäre ein Stalker. Hier!«
Juna musste sich Mühe geben, um die handgeschriebenen Zeilen zu entziffern. Namen, Adressen, mehr verstand sie nicht. »Verdacht Stalker ist vielleicht nicht un…falsch.«
Leah senkte den Kopf und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, die aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. »Ich hätte es dir nicht zeigen sollen. Bestimmt denkst du jetzt sonst was über ihn. Aber so ist es nicht gewesen. Er hat diesen Mädchen nichts angetan. Er hat Kay gerettet. Er hat diesen Mädchen ganz bestimmt nichts angetan.«
Eigentlich wusste sie nach wie vor nicht, was sie über ihn denken sollte. Dass er Olegs Handlanger gewesen sein musste, hinterließ ein schales Gefühl in ihrem Inneren. Dass er ein undurchschaubares Spiel mit ihr trieb, jagte ihr Angst ein. Dass er und Céline … wieso dachte sie schon wieder daran? Es ging sie doch nichts an.
Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Zeilen der Einträge entlang und manchmal zeichnete sie mit dem Nagel den Schwung seiner Handschrift nach. Auf Papier schien diese sauberer zu sein als auf dem Whiteboard. Keine Pyschka. Ihr Puls beruhigte sich langsam. » Perles d’Or . Dieser Club. Bei vielen Mädchen. Sie haben dort gearbeitet?«
»Das weiß ich nicht.«
»Und deine Schwester?«
»Nein! Natürlich nicht. Céline war ein Model, keine …«, hastig winkte Leah ab, »was auch immer. In der Branche wurde sie Eismädchen genannt. Sie war anders als die anderen, so speziell mit ihrem unvollständigen Albinismus. Sie war erst neunzehn. Sie hätte alles, absolut alles erreichen können. Irgendeinen Club hatte sie doch nicht nötig gehabt!«
Mit steifen Fingern schlug Juna ein paar Seiten um. »Sneschana«, las sie vor. »Neunzehn Jahre alt. Deutsch. Unabhängiger als andere. Hat Albi…«
Mit einer Hand schlug Leah die Mappe zu. Ihre Stimme klang jetzt hoch und durchdringend. »Es ist bestimmt nur ein Zufall.« Doch auch der dunkle Teint ihres Gesichts konnte nicht über ihre Blässe hinwegtäuschen. »Sneschana? Was ist das für ein Name, bitte schön? Sie hieß Céline. Céline Winter. Ich … kenne meine Schwester.«
Vorsichtig streifte Juna Leahs Hand, drückte behutsam die kühlen, leicht zittrigen Finger. »Weißt du, dass der Name Sneschana bedeutet Schnee, Schneeflocke?«
»Auf keinen Fall!« Heftig schüttelte Leah den Kopf. Der Pferdeschwanz löste sich endgültig. »Nicht meine Schwester. Nein.« Leah nahm das Haargummi ab und zupfte ein paar Haare von ihm weg. »Entschuldige mich. Ich muss …« Sie verstummte. Unsicheren Ganges steuerte sie eines der Zimmer an, streifte die Tür mit einer Hand, um diese zuzumachen, doch ein dünner Spalt blieb offen.
Zufrieden? Juna legte die Mappe auf den Couchtisch. Dass sie immer und überall recht behalten wollte! Als ob es jemandem nützte. Was ging sie es an, ob Leahs Schwester diese Sneschana war oder nicht?
Es war so ruhig in der Wohnung. Ganz leise rief sie nach Leah, bekam jedoch keine Antwort. Dann wartete sie. Lange. Nach einigem Hadern ging sie hin. Durch den Spalt sah sie, wie Leah bei voller Beleuchtung auf dem Bett kauerte. Zaghaft klopfte Juna an, auch wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Es tat ihr leid, aber ihr Wortschatz gab einfach nicht genug her, um Leah zu trösten. Diese verdammte Sprache!
Leah zuckte zusammen, richtete sich auf und rief: »Herein!« Juna stieß die Tür etwas weiter an und lehnte sich gegen den Rahmen. »Entschuldige, bitte. Ich wollte das nicht.«
»Schon gut.«
»Deine Schwester muss nicht sein diese Sneschana.«
»Ist schon gut. Ich bin nur müde. Es ist schon spät, ich glaube, wir sollten lieber schlafen gehen.«
Schon gut? Nein, nichts war gut. Die Unsicherheit wurmte sie, und die Unfähigkeit sich angemessen auszudrücken. Aber sie musste sich geschlagen geben. »Ja. Okay.«
Das Lounge-Sofa ließ sich nicht
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