Im Netz des Verbrechens
ohne mich zu verabschieden …«
»Du wirst schon deine Gründe gehabt haben.«
Sie hörte ihre Oma schnauben und merkte gleichzeitig, wie Pawel die Stirn in Falten legte und sie intensiv beobachtete. Seine Hand stützte sich neben dem Telefon ab, unter der sonnengebräunten Haut spannten sich die Sehnen an.
»Ich rufe wegen meines Vaters an«, schob sie schnell nach.
»Er wollte doch zu dir. Und er war nicht in bester Laune, wenn du mich fragst. Du hättest auf ihn hören sollen.«
Ja. Vielleicht hätte sie auf ihn hören sollen, aber warum hatte er ihr auch nicht geholfen, als sie zu ihm gekommen war, um ihn um Hilfe bei der Suche nach Pyschka zu bitten? Sie hatte doch nicht gewusst, an wen sie sich sonst hätte wenden können. Aber statt seine Hilfe anzubieten, hatte er nur den sechzehnten Spruch aus dem Tao Te King rezitiert: Und kämen auf einen Wunschlosen auch alle Wesen zu – er bliebe still, ihr Kommen und Gehen schauend. Und hinzugefügt, dass Freundschaften das Gefährlichste waren, was ihr je widerfahren könnte.
»Im Moment kann ihn niemand erreichen.« Sie schielte zu Pawel, sein Gesichtsausdruck verriet jedoch nicht, was in ihm vorging. »Ich muss mit ihm sprechen. Es ist wichtig.«
»Ich bin nicht seine Sekretärin.«
»Ich habe gehofft, du kannst mir helfen.«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt, Kind. Und sonst? Alles gut bei dir?«
Juna hielt inne. Omas Stichwort. Das hieß, sie würde ihn kontaktieren. »Ach, wie sagt man so schön? Voller Aufmerksamkeit waren sie, wie Fährleute, die im Winter über den Strom setzen .« Und scheu waren sie, wie Menschen, die von allen Seiten bedrängt werden , ergänzte sie im Geiste.Natürlich würde er wissen, wie der Spruch weiterging, und die Warnung verstehen.
Das tiefe Schweigen, irgendwo im fernen Sankt Petersburg, machte ihr Gänsehaut. Noch nie hatte sie sich so weit von zu Hause gefühlt.
»Sagt man das? Nicht bei uns, Kleines. Nicht bei uns.«
Pyschka verdrehte die Augen und stöhnte kaum wahrnehmbar auf. Doch Oma hörte es. »Wer ist da noch bei dir?«
»N-niemand.« Sie blickte zu Pawel auf. Er kritzelte etwas auf ein Blatt. Frag sie, welche Ziele er verfolgt.
»Weißt du zufällig, was genau er in Deutschland macht? Er wollte doch … still bleiben.«
»Er hat gesagt, du hättest hier etwas sehr Wichtiges vergessen. Er bringt es dir. Aber jetzt muss ich bügeln. Viel Spaß noch in Deutschland. Und bleib gesund, hörst du?«
Die Verbindung brach ab.
Sie lehnte sich zurück. »Sehr hilfreich war das nicht gerade.«
Pawel legte den Hörer auf. »Einen Versuch war es wert. Mach dir nichts draus.« Er kam um den Tisch herum und fuhr ihr mit der Hand durchs Haar. » Was war das für ein Spruch, den du deiner Oma aufgesagt hast? « Seine Hand massierte ihren Nacken, erst sanft, dann immer kräftiger. Energisch entzog sie sich seiner Berührung und stand auf. » Nichts. Nur ein paar Zeilen aus dem Tao Te King . Meine Oma und ich teilen eine Liebe für alte chinesische Texte und fernöstliche Philosophie. «
Pawel seufzte und tätschelte ihre Schulter, bevor er sich zur Fensterfront wandte und die Hände hinter dem Rücken verschränkte. »Gut. Dann bitte ich dich, mich zu entschuldigen, ich habe heute einen straffen Terminplan. Ich lasse euch etwas Tee und etwas zum Naschen bringen.«
»Wenn ich bei all dem Naschen zum Ausgleich joggen müsste, könnte ich glatt bei der nächsten Olympiade mitmachen. Und was soll dieser Byk vor meiner Tür?«
»Nur zu deiner eigenen Sicherheit, Juna. Beachte ihn gar nicht.« Er begleitete sie zur Tür, Pyschka folgte.
Nick stand draußen, ohne ihr auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Im Vorbeigehen streifte sie seinen Arm und spürte … eine leichte Erwiderung. Pyschka zog sie davon, redete und redete. Irgendetwas.
An diesem Tag wurde ihr nicht mehr gestattet, das Zimmer zu verlassen. Zum Abend hin sollte der Club für Gäste geöffnet werden, und es war sicherer, in diesen vier Wänden zu bleiben, wie Byk ihr geduldig erklärte. Die warme Freundlichkeit seiner Stimme irritierte sie, von den schweren Jungs war sie anderes gewohnt, aber sie ließ sich davon nicht einlullen.
Irgendwann schaffte sie es einzuschlafen, auch wenn die Träume unruhig an ihr herumzerrten. Morgens wachte sie früh auf, Pyschka war noch im Bad, und so wollte sie das Frühstück holen, doch Byk meinte, er würde damit gleich jemanden beauftragen und drängte sie zurück ins Zimmer. Einige Zeit später kam er mit einem
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