Im Netz des Verbrechens
Schäden an der Toilette melden. Irgendetwas in der Art. Mit etwas Glück bräuchte sie die Ausrede nicht. Bitte sei da.
Er war da. Postiert vor Pawels Tür.
Sie wusste, dass er sie gesehen haben musste, doch auf seinem Gesicht zeigte sich nicht die kleinste Regung.
»Miss?«
»Ich …« Mit Mühe klaubte sie die Deutschwörter zusammen, die in ihren zerwirbelten Gedanken wie ein Sack Flöhe herumhüpften. Irgendwie gelang es ihr, einen passablen ersten Satz zu finden. »Ich muss reden – mit dir. Über Kranich. Was du …«
Hinter der Tür erklangen Pawels Schritte.
»Komm. Schnell.« Nick zog sie fort vom Büro, raus aus dem Korridor. Sie eilte neben ihm her durch die Gänge. Irgendwo vorne sprach jemand Russisch. Nick wechselte rasch die Richtung, nahm eine Treppe nach unten, und ehe sie sich versah, war sie mit ihm in irgendeinem Lagerraum.
Sie hielt seine Hand. Ein wenig außer Atem. In ihrem Herzschlag glaubte sie, seinen zu fühlen. Eine Glühbirne über ihren Köpfen beleuchtete die aufgestapelten Kisten und Regale mit Weinflaschen. Die trockene Luft reizte ihre Kehle. An der Glühbirne zitterte ein Fetzen Spinnweben. Sie betrachtete diesen Hauch von Fäden über seinem Kopf und schmunzelte. Hoffentlich würde sie ihn nicht vor – wie hatte er es genannt? – einer Win-kel-spinne retten müssen.
Er drehte sich zu ihr um. »Du hast die Nachricht also bekommen, ja?« Seine Stimme war voller Sorge. »Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest.«
»Dieses Feuer in dem Hotel, wo mein Vater ist … war … Pawel hat getötet ihn, richtig?«
»Ob dein Vater tatsächlich unter den Opfern ist, weiß ich nicht. Aber anscheinend hat Pawel den Anschlag tatsächlich vorbereitet.«
»Kranich ist Hoffnung, oder?« Ihre Finger glitten aus seiner Hand. Vorsichtig ließ sie sich auf einer der Kisten nieder. Sie rieb sich über ihre nackten Knie. Sie trug noch immer das Negligé von heute Nacht. Daran, sich umzuziehen, hatte sie gar nicht gedacht. Die Treffen mit ihm schienen durch einen ganz eigenen Dresscode geprägt zu sein. »Ich habe zwei gesehen in deiner Wohnung. Bei dem Brett.«
»Bei dem Brett. Du hast es also entdeckt. Das Brett.«
»Katze hat gemacht viel Durcheinander in deiner Wohnung«, beeilte sie zu erklären.
»Die Katze. Verstehe.«
Er antwortete zu einsilbig, als dass sie erkennen konnte, was in ihm vorging. Aber jetzt spürte sie, dass etwas Befremdliches zwischen ihnen lag.
Er setzte sich ihr gegenüber, ein Bein etwas nach vorne gestellt, sodass sie ihn mit den Zehen berühren könnte, würde sie den Fuß nur ein klein wenig bewegen. Schuhe hatte Pawel ihr noch immer nicht gegönnt.
»Juna? Weißt du noch, wie ich gesagt habe, dass ich dir vertraue?«
Er wartete auf eine Antwort.
Sie nickte.
»Das tue ich noch immer.«
Sie nickte wieder.
»Der erste Kranich fiel mir vor zwei Jahren in die Hände. Eine Uhrzeit, die Koordinaten – der Zug. Ich dachte damals, ich könnte etwas sehr Schlimmes verhindern, aber ich habe mich geirrt. Stattdessen musste ich zusehen, wozu diese Leute hier imstande sind.«
Sie verstand nicht alles von dem, was er erzählte, aber sie unterbrach ihn nicht.
»Den zweiten habe ich entdeckt, als ich nach einer … Brandverletzung aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Da war bereits alles zu spät. Die Busexplosion vor einem Hotel. Es stand in allen Zeitungen. Ein gottverdammtes Massaker. 17 russische Kinder, die nach Deutschland zu irgendeinem Sportereignis gereist sind, wurden getötet.« Er schloss die Augen. Seine Hände ballten sich, und sie sah, wie die Muskeln und Sehnen auf seinen kräftigen Armen hervortraten.
»Nick?«
Er hörte nicht, als wäre alles, was ihn umgab, nicht real, als wäre es ihm unmöglich, die Lider aufzuschlagen und ihr Gesicht vor sich zu sehen.
»Nick!« Mit einem Mal hatte sie Angst – Angst um ihn. Sie legte ihre Finger auf seine Wange und spürte das wulstige Gewebe der Narben unter ihren Kuppen. Er zuckte zusammen, als hätte die Berührung ihn in die Wirklichkeit zurückgerissen.
»Kraniche«, flüsterte sie ihm zu. »Woher kommen sie?«
»Von Pawel. Glaube ich. Bin mir nicht sicher. Ich glaube, er will damit zeigen, wozu er fähig ist. Seine Macht demonstrieren. Aber die wirklichen Autoritäten nehmen ihn nicht ernst. Umso mehr will er nach oben, zur Krähe – deinem Vater. Er ist wie besessen davon.« Nick schüttelte den Kopf. »Er scheint alles mit dieser Besessenheit anzugehen. Anders kennt er es
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