Im Netz des Verbrechens
kapiert. Bin nicht dein Typ.« Er wandte sich wieder der Straße zu.
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Es dauerte noch über eine Stunde, bis das Frettchen den Polo anhielt. Aus dem Beifahrerfenster betrachtete Juna die Gegend. Hinter einem fein umzäunten Teich, in dem sich die Lichter der Stadt spiegelten, reckte sich ein mehrstöckiges Gebäude in den dunklen Himmel.
»Da drin«, erklärte er. »Geh schon.«
»Du kommst nicht mit?«
»Neee.«
Sie zögerte. Der Anblick war unheimlich. In keinem der Fenster brannte Licht, der massive Bau vermittelte das Flair eines Bürogebäudes, das noch nie benutzt und trotzdem gut in Schuss gehalten wurde. Genau dieser Gegensatz ließ in ihr sämtliche Alarmglöckchen läuten.
»Na wird’s bald?«, murrte ihr Chauffeur. »Ich stehe im Halteverbot.«
Jemanden mit so großem Respekt vor den Verkehrsregeln hatte sie selten gesehen. Sie zog am Türgriff, schlüpfte nach draußen und sah sich um. Folgte ihr jemand? Sie konnte niemanden entdecken, doch das Gefühl, beobachtet zu werden, war übermächtig. Das Auto an der gegenüberliegenden Seite des kleinen Platzes – saß dort nicht jemand drin? Aber vielleicht parkte es dort schon länger und es gab wirklich überhaupt keinen Grund, beim Anblick eines Mercedes so in Panik zu geraten. Oleg hatte diese Automarke geliebt, aber von Oleg hatte sie nichts mehr zu befürchten.
»Geh schon, geh schon.« Das Frettchen winkte unbestimmt in die Schwärze der Nacht. Was sie unbarmherzig daran erinnerte, wie kalt es war. Sogleich begann sie zu zittern, trat von einem Fuß auf den anderen und lief schließlich zum Hauseingang. Mit den Händen schirmte sie ihre Augen ab und versuchte durch die Glastüren ins Vestibül zu spähen. Nur mit Mühe erkannte sie einen riesigen Tresen, der zur rechten Seite einen Halbkreis beschrieb. Sie rüttelte an der Tür, doch sie war abgeschlossen. Die Gegensprechanlage leuchtete schwach. Die leeren Bereiche neben den Klingelknöpfen waren vermutlich für die vielen Firmen reserviert, die hier nie eingezogen waren. Auf gut Glück drückte sie auf irgendeinen davon.
»Ja?«, knirschte sogleich eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher.
Vor Schreck sprang Juna zurück.
»Ja?«, wiederholte die Stimme. Russisch. Also war sie hier doch richtig?
»J-juna Kutscherowa«, stammelte sie und wusste nicht weiter. Sollte sie nach ihrem Vater fragen?
»Einen Moment«, verkündete die Stimme, ohne weitere Erklärungen zu verlangen.
Das Türschloss summte.
Sie zog an dem Griff und betrat die Empfangshalle. Sie war geheizt. Unter ihren Fußsohlen fühlte sie den glatten, polierten Steinboden, das Gebäude wirkte wie ausgestorben. Als hätte eine seltsame Seuche alle dahingerafft und nur eine Erinnerung an die einst turbulenten Tage hinterlassen.
Sie wartete, das Messer fest umklammernd.
Schritte. Irgendwo rechts. Sie fuhr herum und wurde vom Schein einer Taschenlampe geblendet. Sie blinzelte, versuchte die Augen mit dem freien Arm zu verdecken, als eine ruhige, tiefe Stimme befahl: »Legen Sie das Messer auf den Tresen und gehen Sie zehn Schritte zurück.«
Sie stand da wie zur Salzsäule erstarrt und blinzelte ins Licht, als hätte es ihr Hirn auf eine seltsame Art leergebrannt.
»Na machen Sie schon. Ich richte gerade eine Jarygin PJa auf Sie. Was können Sie da mit einem Küchenmesser schon ausrichten?«
Sie sah die Pistole nicht, meinte jedoch zu spüren, wie die Mündung direkt auf ihre Stirn zielte. Ganz langsam legte sie das Messer auf den Tresen und zählte die Schritte ab. Als sie wieder stehen blieb, glitt das Licht ihren Körper entlang, als würde es sie abtasten.
»Hände hoch.«
Sie gehorchte.
Das Licht bewegte sich auf sie zu, der Mann umrundete sie und blieb hinter ihr stehen. Juna erstarrte, als sie eine fremde Hand auf ihrem Körper spürte.
Ruhig. Bleib ruhig!
Bewusst atmen.
Du schaffst das.
Die Hand ertastete das Handy an ihrer Brust. »Was ist das?«
Sie schluckte, obwohl ihre Kehle krampfte. Nur mit Mühe brachte sie einen Ton heraus: »Mein Handy. Akku alle.«
»Zeigen. Und keine verdächtigen Bewegungen.«
Die rechte Hand ließ sie oben. Mit den Fingern der linken, die ihr kaum gehorchten, holte sie das Telefon heraus und hielt es hoch.
»Okay. Können Sie behalten.« Das Licht der Taschenlampe glitt durch den Raum und blieb an den Türen eines Aufzugs hängen. »Zwölfter Stock.«
Also hatte das Gebäude doch Strom. Vielleicht verzichtete man hier auf die
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