Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
Nahrungsmittelproduktion und besitzen dank der dunklen Knopfaugen, den seidigen Flügeln und dem gestreiften (und immer ein wenig pummeligen) Hinterteil einen hohen Plüschfaktor. TV-Stars wie Biene Maja und Drohne Willy wirken mit ihren pollenverklebten Fühlern und Beinchen wie Kinder, die zu tief in den Kuchenteig gegriffen haben. Eben süß. In den neunziger und Nullerjahren tauchten Bienen aber plötzlich als Bösewichter auf den Bildschirmen auf. Fernsehsender und Zeitungen berichteten atemlos von «Killerbienen», einer neuen, aggressiven Insektenart, die sich rasend schnell ausbreite und immer wieder Menschen angreife. Die «Killerbienen» wurden binnen weniger Jahre zu einem Medienmonster wie aus dem Horrorfilm, ein diffus-dynamischer Schwarm, in dem ein Mensch verschwinden kann.
Die neue Bienenart geht auf eine Züchtung des Biologen Warwick E. Kerr zurück, der in den fünfziger Jahren in Brasilien die europäische Honigbiene mit wild lebenden afrikanischen Bienen kreuzte. Die sogenannte «afrikanisierte Honigbiene» (AHB) ist deutlich aggressiver als ihre domestizierten Verwandten und weist ein ausgeprägtes Revierverhalten und einen starken Wandertrieb auf. Fünf Schritte für den Erstkontakt mit Killerbienen:
1. Schalten Sie den Fernseher aus: Die Verbreitung der Killerbiene ist in den Medien wesentlich größer als im echten Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie gerade eine Sendung wie Welt der Wunder oder National Geographic TV gucken, in der dem Zuschauer erklärt wird, dass die «afrikanisierte Honigbiene anders ist als die europäischen Bienen, die wir kennen», ist hoch. Die rassistischen Untertöne sind kein Zufall. In den vergangenen Jahren breitete sich die neue Bienenart vor allem in US-Staaten wie Texas, Arizona und Kalifornien sowie im Mittelmeerraum aus – und dort mag man keine illegalen Einwanderer.
2. Lokalisieren Sie das Nest: Falls sich ein Nest aggressiver Bienen tatsächlich außerhalb Ihres Fernsehers befinden sollte, dann versuchen Sie es genau zu orten. Nähern Sie sich ihm nicht in dunkler Kleidung und tragen Sie kein schweres, blumiges Parfüm. Versuchen Sie auf keinen Fall, das Nest mit Benzin oder Rauch selbst zu entfernen, und rufen Sie einen Kammerjäger.
3. Auf der Flucht: Bienen fliegen dank ihres fragilen Flugapparats mit bis zu 30 Stundenkilometern. Auf ein Wettrennen mit den Insekten sollten Sie sich also nur einlassen, wenn sie in Top-Form sind. Anders als die 08/15-Honigbiene, die ihre Eindringlinge lediglich wenige Meter verfolgt, ist die AHB ein nachtragendes Wesen und bleibt oft mehrere hundert Meter an ihren Feinden dran. Schlagen Sie nicht nach den Bienen. Bedecken Sie Ihr Gesicht und begeben Sie sich so schnell wie möglich in einen geschlossenen Raum, ein Auto oder ein Zelt. Springen Sie auf keinen Fall in ein Gewässer oder einen Pool – die AHB werden warten, bis Sie wieder auftauchen. Laufen Sie gegebenenfalls durch hohes Gras und Büsche, um Ihre Verfolger abzuhängen.
4. Patientenversorgung: Killerbienen haben kein besonders starkes Gift, und auch das Gerücht, dass sie öfter als einmal stechen können, entspricht nicht der Wahrheit. Die afrikanisierte Honigbiene ist wie ihre Wald-und-Wiesen-Verwandte eine Kamikaze-Kämpferin: Nach dem Stich verliert sie den Stachel und verendet. Menschen ohne Allergie können viele Stiche ohne Langzeitschäden ertragen. Die American Medical Association hat sogar den Fall eines Patienten dokumentiert, der mehr als 2000 Stiche der AHB überlebt hat. Pro Jahr sterben in den USA nur ein bis zwei Menschen an einem Stich. Trotzdem sollte man die Wunde versorgen: Der Stichapparat einer Biene kann bis zu 10 Minuten lang Gift in den Körper pumpen. Den Stachel nicht rausdrücken, sondern mit dem Fingernagel oder einer Klinge über die Einstichstelle fahren und den Stachel herausstreichen. Alles wird gut!
5. Nach der Schlacht: Wenn Sie die Begegnung mit dem infamen Insekt überstanden haben und die Wunden verheilt sind, sollten Sie sich Gedanken um eine Entschädigung machen. Rufen Sie den lokalen TV-Sender an und berichten Sie von Ihrem heroischen Kampf (gegen Interviewgebühr, versteht sich), drucken Sie T-Shirts oder schreiben Sie ein Drehbuch. Längst ist die Killerbiene eine Medienikone. John Franz, Bürgermeister von Hidalgo, Texas, nutzte die Tatsache, dass in seinem kleinen Ort der erste Kontakt mit Killerbienen zustande kam, um die «größte Killerbiene der Welt» zu bauen: eine zwei Meter hohe und drei
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