Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
wird er sie vermutlich besser behandeln; außerdem sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er sie im Affekt tötet oder sie ums Leben bringt, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Polizei zu beeindrucken. Tatsächlich fürchten sich auch die Kidnapper vor dem Stockholm-Syndrom. Der ehemalige RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock erzählt gerne, wie er in den siebziger Jahren von jemenitischen und palästinensischen Ausbildern in Rollenspielen auf Entführungen vorbereitet wurde: «Es ging im Wesentlichen darum, wie man im Falle eines Kidnappings einerseits die Geiseln durch einen ständig wechselnden Mix aus Einschüchterung, Terror und selektiver Freundlichkeit in Angst und Abhängigkeit hält, andererseits aber das sogenannte Stockholm-Syndrom vermeidet.»
Psychoanalytiker sprechen von einer «Identifikation mit dem Aggressor». Das Leben der Geisel liegt vollkommen in der Hand des Geiselnehmers, er bestimmt, wann seine Opfer essen, trinken, schlafen und frei atmen dürfen. Dieser extreme Kontrollverlust ist für die Geiseln nur zu ertragen, indem sie sich selbst hinters Licht führen und sich einreden, der Geiselnehmer sei gar nicht böse, sondern werde im Gegenteil alles dafür tun, das Leben der Geiseln zu schützen. Diesem mentalen Mechanismus kann man entgehen, wenn man die eigenen Gedanken und Emotionen immer wieder auf ihre Gründe hinterfragt. Im Idealfall gelingt es Ihnen sogar, Sympathien für den Geiselnehmer nur vorzutäuschen und ihn dadurch emotional zu manipulieren. Genau das schaffte der amerikanische Botschafter Diego Ascensio während einer Geiselnahme in Bogotá im Jahr 1980. Ascensio diskutierte intensiv mit den Kidnappern der Terrororganisation M-19 über amerikanische Außenpolitik, beriet als erfahrener Diplomat seine Peiniger bei den Verhandlungen mit der US-Regierung und versuchte durch sein besonnenes Auftreten, die Rebellen zu beruhigen und Zuversicht zu verbreiten. Mit Erfolg. Die Geiselnehmer gaben sich damit zufrieden, dass die amerikanische und die kolumbianische Regierung nur einen Teil ihrer Forderungen erfüllten, und zogen ab. Die Geiselnahme ging unblutig zu Ende.
Patty «Tania» Hearst gelang es erst mit der Hilfe von Polizei und Staatsanwaltschaft, sich von ihren Peinigern loszusagen. Nach mehreren Banküberfällen wurde Hearst im Jahr 1975 gefasst. Im Prozess gab sie an, durch Misshandlungen und Gehirnwäsche gezwungen worden zu sein, sich der SLA anzuschließen. Hearst bekam 35 Jahre Haft, von denen sie jedoch nur 22 Monate absitzen musste. Für zukünftige Entführungen beugte sie vor. 1979 heiratete Hearst ihren Bodyguard Bernard Shaw, der heute als Sicherheitschef der Hearst Corporation arbeitet.
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04. Sintflut NOAHS ERBEN
Tipps bei Hochwasser, Flutkatastrophen und emotionalen Dammbrüchen.
Ein bekannter Action-Bestseller, Die Bibel , beschreibt Noah als einen hilfsbereiten, entscheidungsfreudigen und handwerklich begabten Mann mit langem, weißen Rauschebart, der 950 Jahre alt wurde, im Alter von 500 Jahren die Söhne Sem, Ham und Jafet zeugte und auch gerne mal einen über den Durst trank – ein echter Kerl also, nicht unähnlich Bruce Willis und Chuck Norris. Allerdings muss man sagen, dass der ewige Ruhm, der dem Arche-Architekten zuteil wird, ein wenig unverdient ist: Noah hatte schließlich nicht mit Problemen wie Klimawandel, Flussbegradigungen und Flächenversiegelungen zu tun und erlebte in seinem knapp tausendjährigen Leben nur eine Flut – jeder Bewohner einer durchschnittlichen ostdeutschen Kleinstadt muss alle zwei bis drei Jahre mit einer Flutkatastrophe rechnen. An Elbe und Oder gab es innerhalb von zehn Jahren gleich drei sogenannte «Jahrhunderthochwasser». Im 21. Jahrhundert sind Grundkenntnisse in Dammbau und Arche-Konstruktion also erste Bürgerpflicht.
Prävention I: Bevor das Wasser über die Ufer trat, gab Gott seinem Diener Noah einen kleinen Hinweis, damit dieser mit dem Bau seiner Arche beginnen konnte. Rechnen Sie nicht mit derartiger Gnade. Die Flutwelle erreicht die ersten Häuser oft nur drei Stunden nach der Warnung des Katastrophenschutzes. Es ist deshalb ratsam, einen permanenten Ringdeich um das Haus zu bauen, wie ihn auch viele Bauernhöfe und Landgüter in Schleswig-Holstein errichtet haben (ja, auch wenn man im bayerischen Oberland wohnt). Der Drei-Zonen-Deich ist das Premiumprodukt dieser Strukturgattung. Der sogenannte Stützkörper besteht aus einem Sandkern, der mit Erde und Schutt bedeckt
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